Tiere und Literatur: Das ist seit Anbeginn ein Liebesverhältnis. Martin Thomas Pesl hat Fährten aufgenommen, Spuren verfolgt und festgestellt: Der Einsatz vierbeiniger Freunde, gefiederter Feinde, schwimmender Gefahren und trompetender Hindernisse in literarischen Werken ist vielfältiger, als man denkt.
Vom Affen Rotpeter bei Kafka über die Esel bei Orwell und Cervantes bis zu Murakamis Frosch, von Nabokovs Grauhörnchen über den Fuchs im Kleinen Prinzen bis zu Martin Suters Elefant und Michail Bulgakows Kater – ihnen und noch vielen mehr ist er auf seiner literarischen Spurensuche von der Antike bis zur Gegenwart begegnet. (Martin Thomas Pesl: Das Buch der Tiere. 100 animalische Streifzüge durch die Weltliteratur)
Autor: Michail Bulgakow
Titel: Der Meister und Margarita
(aus dem Russischen von Thomas Reschke)
Originalfassung: 1967
»Der Kater, staubverschmiert und aufrecht stehend, machte Margarita eine Verbeugung. Um den Hals trug er jetzt eine weiße Frackschleife, und auf seiner Brust baumelte an einem Riemen ein perlmuttverkleidetes Opernglas für Damen. Außerdem war sein Schnurrbart vergoldet.«
Wer zu viel Wodka trinkt, trägt am nächsten Tag einen Kater mit sich herum. In diesem Fall hat der Kater immer einen Wodka dabei. Insgesamt macht Behemoth gerne Unsinn, was den gar nicht so armen schwarzen Kater zur gemeinhin beliebtesten Figur des berühmten Romans von Michail Bulgakow macht. Und das, obwohl er Unglück bringt, egal ob er von links kommt oder von rechts.
Mal gibt er sich als (überdimensionales) Miezekätzchen, das sich wichtigtuerisch ein Zentimermaß um den Hals hängt und immer noch vom Publikum entzückt bejault wird – ein analoger Vorläufer der digitalen Kätzchenvideoseuche. Sobald er dann aber mit menschlicher Stimme zu sprechen beginnt, ist die Meute entsetzt.
Ein andermal nimmt Behemoth menschliche Gestalt an und fällt durch sein katzenartiges Gesicht auf, bleibt aber, wie es uncharmant heißt, ein Dickwanst.
So oder so: Der Gehilfe des teuflischen Magiers Voland genießt das Schachspiel, ist Dostojewski-Fan und weiß sich in gewählten Worten zu verteidigen, wenn er – wie eine gewöhnliche Katze – ermahnt wird: »Dann bin ich eben eine schweigsame Halluzination.«
Wenn es sein muss, geht Behemoth
zusammen mit seinem ganz und gar nicht felinen Kollegen Asasello als Mann fürs Grobe durch und verprügelt jeden, der seinem Chef nicht genehm ist. Sein Name bedeutet auf Russisch Nilpferd, verweist aber auch auf das elefantöse biblische Monster, das die Sinnlosigkeit der Anzweiflung Gottes symbolisieren soll. In Der Meister und Margarita könnte er – immerhin so groß wie ein Mastschwein – dazu dienen, den auf Religionslosigkeit getrimmten Sowjets die Existenz des Teufels (und in weiterer Folge dann irgendwie auch jene Gottes) zu beweisen, aber kein Trick bringt sie zur Vernunft. Margarita versetzt ihm sogar einmal nach einem seiner blöden Witze einen Schlag auf den Hinterkopf – ungestraft.
Was den Moskauern ihr Professor für Schwarze Magie ist, ist innerhalb der Voland’schen Truppe Behemoth: ein Narr, der sich alles erlauben darf, weil er ohnehin nicht ernst genommen wird.
Was mit ihm passiert, bleibt inmitten der charmant-chaotischen Er-
eignisse rund um das titelgebende Liebespaar und den biblischen Pontius Pilatus ungewiss. Aber vielleicht wird Behemoth ja professioneller Brandstifter oder Zirkusreitkater.
Oder Wodkatester, Opernkritiker oder Kabarettist. Oder Türsteher oder Mitarbeiter eines Inkassobüros.
Oder nein, noch besser: Star des nächsten Cat Video Festivals.
Gattung: Felis silvestris catus
Lebensräume: Hölle, Moskau
Sozialverhalten: charmant
WWF-Faktor: ****
Nahrung: Wodka
Leitspruch: Alles wird gut
Namensbedeutung: Nilpferd
Erste urkundliche Erwähnung:
Hiob 40, 19
Martin Thomas Pesl lebt als Autor, Übersetzer, Sprecher und Lektor in Wien. Er ist freier Theaterkritiker bei der Wiener Stadtzeitung Falter.
Martin Thomas Pesl
Das Buch der Tiere
100 animalische Streifzüge
durch die Weltliteratur.
Illustriert von Kristof Kepler