Von Beethoven bis Sigmund Freud gab es viele, die gegen die selbstgefällige Lethargie von allzu vielen Wienern rebellierten. Aber selbst die Rebellen kapitulierten vor dem Wienerwald. Deshalb konnten sie aber auch in Wien bleiben, arbeiten und sich heimisch fühlen, denn es wäre unmöglich gewesen, eine scharfe Trennlinie zwischen der Stadt und der sie umgebenden Landschaft zu ziehen.
Die Umgebung von Wien ist nicht der einzige Grund und auch nicht der Hauptgrund, warum so viele entwurzelte und rastlose Menschen Wien zu ihrer Wahlheimat auserkoren haben. Vor allem begünstigte die einzigartige Mischung aus nationalen und kulturellen Besonderheiten der Stadt eine solche »Einbürgerung«. Gleichermaßen bot das Zusammenspiel aus Stadt, Vororten, Dörfern, bewaldeten Hügeln, Ebenen, Fluss und den entfernten Bergen ein Ventil für Fantasien, das nicht wenige vor einem Gefühl der Klaustrophobie und Isolation bewahrte. Johannes Brahms ist ein gutes Beispiel dafür. Als er sich 1865 in Wien niederließ, war er ein reifer Mann. Er verlor nie seinen Hamburger Akzent, trotzdem fühlte er sich bald wie ein echter Wiener. Natürlich war Wien für ihn die »heilige Stadt der Musiker«; die Erinnerung an die großen Komponisten, die hier lebten, arbeiteten und starben, sowie die Hoffnungen auf eine eigene große Zukunft zogen ihn in die Stadt. Sein Freund und Biograf Max Kalbeck war der Meinung, dass Brahms sich aus einer Reihe von möglichen Orten für die Stadt Wien entschied, weil sie ihm die Reize der Großstadt, kleiner Vorstädte und der herrlichsten Umgebung bot.
Das waren nun Intellektuelle, Künstler und Genies. Aber was ist mit den Massen von arbeitssuchenden Menschen, die nach Wien kamen und in einer Kammer im Hinterhof eines kleinen, schäbigen Hauses in der Vorstadt oder in einer lumpigen Wohnung hausten? Und was ist mit jenen, die in einer dunklen engen Gasse das Licht der Welt erblickten und in den alten inneren Bezirken oder verfallenden Elendsvierteln aufwuchsen? Es war immer furchtbar einfach, das Leben der Handwerker und Arbeiter des alten Wien in einen idyllischen Schein zu hüllen. Und zwar deshalb, weil sie in der Nähe eines Waldes oder zumindest unter den hohen Pappeln im Prater ihr Glas Wein trinken konnten und weil sie an Sonntagen in den Schönbrunner Schlosspark, auf den Hügeln hinter Grinzing und Ottakring oder in den Weidenhainen entlang der Donau spazieren gehen konnten. Tatsächlich unternahmen sie den einen oder anderen Ausflug, was einen Unterschied machte, ungeachtet der Schattenseiten dieser Leben, die dieses Bild verdunkeln.