Den afrikanischen Namen Mamadou hatte mir Aziz gegeben. Aziz lebt von Wertkarten für Mobiltelefone, dort, wo die Corniche in Dakar nach links in das Plateau hineinbiegt und wo jeden Morgen der Verkehr zum Erliegen kommt. Manchmal stehen die Autokolonnen schon einige hundert Meter früher, und die Straßenverkäufer müssen die Gunst des Morgenstaus rasch nutzen, um die verschiedensten Waren an den Mann, manchmal auch an die Frau zu bringen, denn wer nicht rasch genug handelt, wird von den wie aus dem Nichts plötzlich auftauchenden Konkurrenten verdrängt. Sicherer ist das Geschäft jedenfalls vor der ersten Ampel des Boulevards, der das Plateau durchschneidet, wo man sich, aus der Weitläufigkeit der breiten Uferstraße kommend, plötzlich eingeengt fühlt, und wo die Polizei öfters auch die Obdachlosen vertreibt. Zu diesen zählte auch ich, nachdem mein Visum abgelaufen und meine Geldreserven erschöpft waren. Das Visum war bereits mehrmals verlängert worden, da aber mein Aussehen immer mehr dem eines Clochards glich, verwies man mich bei der Fremdenpolizei des Büros. Man wolle arbeitende Ausländer oder Touristen im Land, keine europäischen Aussteiger und Sozialfälle. Würde ich das Land nicht vor Ablauf des Visums verlassen, hätte ich Gelegenheit, ein Gefängnis des Landes kennenzulernen. Nun, diese Drohung nahm ich nicht sehr ernst, denn noch nie war man hier eines Ausländers mit illegalem Aufenthalt habhaft geworden, aber allein die Vorstellung ließ mich erschauern, hatte ich doch Fotos gesehen von überbelegten Massenzellen, wo alle seitlich, in dieselbe Richtung gedreht, schlafen müssen. Mir fiel die Geschichte mit der genormten Gurkenkrümmung ein, dieser bekannten bürokratischen Überregulierung in Europa, die eine bessere Verpackungskapazität bewirken sollte.
Nun war ich ein Illegaler in einem Land, das seinerseits selbst einige Illegale in meiner Heimat stellt. Meine Heimat – aber die gab es gar nicht mehr. Ich war von ihr in meiner Erinnerung durch ein dunstartiges Gebilde getrennt, eine Wolke, die mich nicht mehr erkennen ließ, wo ich herkam. Und wohin ich wollte – ich wusste es noch weniger. Dass es eine diplomatische Vertretung meines mir nicht mehr präsenten Heimatlandes in dieser Stadt gab, war mir wegen der Wolke konsequenterweise ebenso wenig bewusst. Ich fing an, die Autokolonnen im Abendstau entlangzugehen und die Insassen um »ein Stück« (»une pièce«) anzubetteln. »Une pièce«, dabei handelte es sich um eine Geldmünze, die zwar einen dreistelligen Betrag aufwies, mit der man aber nur etwas mehr als ein halbes Weißbrot zu erstehen vermochte.
Ich erinnere mich noch deutlich an die erstaunten Gesichter und die Frage, warum ein Toubab jetzt anfinge, die Schwarzen anzubetteln. Es gab auch einige weiße Autofahrer – in der Stadt ist eine nicht unbeträchtliche Zahl von Botschaften, internationalen Organisationen, Sekretariaten und sonstigen internationalen Hilfsvereinen angesiedelt, die meist über stattliche Geländeautos verfügen, auch von Weißen chauffiert –, die mich erstaunt, teils teilnahmsvoll, teils verächtlich behandelten. »Ein Weißer, der bei den Schwarzen bettelt – wir verlieren den letzten Rest unseres Ansehens«, hatte mir einmal ein vierschrötiger Typ mit Strohhut am Volant sitzend zugerufen und den elektrischen Fensterheber betätigt.
Rückkehr nach Europa | Leseprobe
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