Rosa befeuerte ihren Tischherd und stellte Wasser im großen Emailtopf auf. Nachdem sie Birnen und Äpfel geschält und zugestellt hatte, rührte sie Haferflocken an. Langsam verbreitete sich dampfende Wärme in der Küche. Sie leerte den brodelnden Inhalt des Wassertopfs in ihre Holzwanne. Ein ehemaliges Weinfass, über dem unteren Drittel abgeschnitten und mit breitem Holzrahmen neu gefasst, füllte sich nach und nach mit Badewasser. Das dauerte, aber da der Ofen ohnehin beheizt werden musste, war das kochende Wasser für ihr bevorstehendes Vollbad ein Nebenprodukt. Sie richtete eine Portion Haferbrei mit Birne-Apfel-Kompott zu, setzte einen weiteren Topf Wasser auf und brachte das Abendessen in den fünften Stock zu Frau Hartman.
»Rosa, das ist aber nett von Ihnen«, sagte die Neunzigjährige gleich nach dem Öffnen. »Danke!« Sie nahm den Teller entgegen und trug ihn ins Speisezimmer, wo sie sich an den für eine Alleinstehende viel zu großen Esstisch setzte.
»Wenn ich meinem Geruchssinn noch trauen darf, dann befinden sich darin einige Ingredienzien, die einen durchaus erheblichen ökologischen Fußabdruck haben, meine Liebe.« Dabei hielt sie ihre Nase über den Teller. Ihre Nasenflügel flatterten, als wollten sie auf den betörenden Duftwolken davonziehen. »Zimtstange, Gewürznelken, wenn mich nicht alles täuscht, Vanilleschote und – ich kann es kaum glauben – Vollrohrzucker?« Sie schaute Rosa vorwurfsvoll an.
»Zuckerrübe«, korrigierte Rosa.
Frau Hartman aß einen Bissen.
»Dafür nehme ich den Fußabdruck gerne in Kauf«, sagte sie und zwinkerte ihr zu.
»Ist schon in Ordnung. Die Rosinen sind aus Wien«, sagte Rosa. »Morgen werde ich das Stiegenhaus putzen, soll ich danach zu Ihnen kommen?«, fragte Rosa. Frau Hartman schüttelte den Kopf.
»Nein danke, Rosa, ist nicht nötig.«
Rosa nickte, wünschte guten Appetit und ließ die Frau wieder allein.
Zurück in ihrer Wohnung kochte das Wasser auf dem Herd. Rosa leerte es in die Badewanne, fügte eine Handvoll Lavendelblüten und einen Schuss Rapsöl hinzu. Ihre Schüssel mit dem Abendessen stellte sie auf den Beistelltisch neben die Wanne. Dann zog sie sich aus. Rosa hatte noch nie zur Fettleibigkeit geneigt, doch die letzten Jahre hatten aus ihrem dünnen Körper Sehnen und Muskeln herauspräpariert. Wirbel, Schulterblätter und Beckenknochen zeichneten sich deutlich unter ihrer Haut ab, die faltig anlag, als wäre sie vakuumiert. Ihre selbst geschnittenen Haare standen angegraut vom Kopf ab. Unter der amazonenhaften Brust spannten sich Bauchmuskeln. Was nicht existierte, konnte auch nicht hängen. Achsel- und Schamhaare waren, wie die gesamte Körperbehaarung, vernachlässigbar. Rosas Nackenlinie war von ungebrochener Schönheit. In der Gleichförmigkeit ihres Kappenmuskels ruhte eine seltsam erhabene Eleganz, wie bei Audrey Hepburn. Rosa stieg ins heiße Wasser. Sie hielt eine kleine Menge Salz in ihrer Handfläche, beträufelte sie mit etwas Wasser und verrieb das Peeling auf Gesicht und Oberkörper. Danach tauchte sie in ihr dunkles, rundes Weinfass ein, wusch das Salz ab, roch den Duft des Lavendels, fühlte den sanften Ölfilm auf ihrer glatten Haut. Sie ließ den Kopf nach hinten ins Wasser sinken. Mit nassem Haar kam sie wieder hoch, lehnte ihren Nacken gegen den Wannenrand und entspannte in der flüssigen Hitze, die langsam in ihr Inneres einzog.