Seine Erinnerungen lösten sich auf, jetzt bemerkte er auch den Uringeruch, den der Wind mit sich trug. Am Strand stehen zu bleiben schien ihm nun doch ein wenig lächerlich, so auf halbem Weg, nur weil der Ausblick schön war. Er musste das Gebäude der Küstenwache finden beziehungsweise das der Schifffahrtsbehörde, oder wie auch immer die Kollegen sich hier nannten. Auf einem Papier hatte er sie als »Kompanie für maritime Sicherheit«, auf einem anderen als »Meeresgendarmerie« gelistet gefunden, gemeint war wohl beide Male dieselbe Freiwilligenbrigade, die sich in der Stadt in den letzten Monaten formiert hatte. Man kam ja mit den vielen Namen ebenso durcheinander wie mit den neuen Gesetzen.
Zurück auf der Küstenstraße verscheuchte er mehrere magere Katzen, die ihn mit gesträubtem Fell anfauchten und den Weg freimachten, um sich, sobald er vorbei war, wieder zusammenzurollen und zu Füßen der Mauer in Schatten zu verwandeln.
Daniel war überrascht, als der Hafen vor ihm lag, leerstehende Imbissbuden, kleine Cafés, Fast-Food-Ketten, auf dem Uferbeton übereinandergestapelte Plastikstühle und Plastiktische, wie ineinander verkrochen; Tische um Tische gruppiert, Stühle um Stühle, als hätten sie sich von ihren früheren Ordnungen zu befreien versucht. Die Vitrinen und Fensterfronten der Bistros, Pubs und Restaurants glitzerten schon in der Morgensonne, überall lag Müll.
Etwas weiter weg sah er eine Festungsanlage, und daneben endlich den ehemaligen Yachtklub, in dem, zumindest seinen vielleicht schon wieder veralteten Informationen nach, die Küstenwache untergebracht sein sollte. Er betrachtete die Boote, schon überfielen ihn weitere Erinnerungen, immer schwerer fiel es ihm, auseinanderzuhalten, was Gegenwart und was Vergangenheit war und was vielleicht schon Bilder im Schlaf. Er hatte das Gefühl, die Stadt in einem computergenerierten Raster zu sehen, als kleinen Punkt darauf sich selbst an diesem Kai, markiert in einem Viereck, auf digitalen Karten, die nur dem Handel und dem Militär bekannt waren.
Das Gebäude schien verlassen, wo waren die Kollegen? Wo waren überhaupt Menschen in dieser Stadt? Die ja im Grunde keine echte Stadt mehr war, sondern genau genommen nur noch ein Grenzstreifen, jedenfalls auf den Landkarten. Lebte niemand mehr hier? In der Presse waren so viele Gerüchte über diesen Ort verbreitet worden, es konnten doch nicht alle Zeitungsartikel so stark übertrieben oder gelogen haben, als sie berichteten, dass es hier zuging wie nirgendwo sonst.
Er ging über einen kleinen Holzsteg, um ins Gebäude zu treten, aber die Tür war verrammelt, deswegen warf er seinen Rucksack in eines der daneben angelegten Boote, stieg danach selbst hinein und wollte sich kurz ausruhen.
Man würde ihn schon nicht verhaften deswegen.
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