Alles ist doch immer ein Zitat, dachte Katharina, während sie mit der Kaffeemaschine kämpfte. Gleichzeitig versuchte sie einem Monolog ihres Stammgasts Max zu folgen. Oder vielmehr ein Songtext. Irgendwer hatte es ja doch schon immer treffender formuliert. War man überhaupt jemals zu einem originellen Gedanken fähig?
Sie machte ein zustimmendes Geräusch in Richtung Gast und vertiefte sich weiter in die Reparaturarbeiten. Ein alter Song spazierte durch ihren Kopf und echote stumpfsinnig vor sich hin. Irgendetwas zischte. Sie hob den Blick und sah direkt in das erwartungsvolle Gesicht von Max.
»Wie bitte?«, fragte Katharina irritiert.
»Du hörst gar nicht zu. Du hörst überhaupt nie richtig zu! Glaubst du, ich merk das nicht?«
»Max, ich, also die Maschine«, setzte sie zu einer Erwiderung an, doch ihre Antwort erlahmte bereits nach diesem Halbsatz. Lange schon fielen ihr keine smarten Entgegnungen mehr ein. Das Smalltalk-Areal ihres Gehirns war, so schien es, seit geraumer Zeit auf Kur, und mit einer baldigen Rückkehr war offensichtlich nicht zu rechnen. Also zuckte sie nur entschuldigend mit den Schultern. Dieser Moment war ohnehin perdu.
Draußen dunkelte es bereits, und hinten saß auf einmal ein Neuer. Genau dort, an ihrem Lieblingstisch in der Nische. Katharina starrte in die Ecke. Sie hatte ihn nicht hereinkommen gesehen, obwohl das in ihrem kleinen Lokal doch quasi unmöglich war. Aber ja, ohne Zweifel, da hinten saß einer und blickte leicht fragend in ihre Richtung.
Sie nickte ihm zu, dankbar für die kurze Ablenkung. Max quatschte immer noch weiter, aber da ihre Kollegin Sabina jetzt auch zurück hinter der Bar war, konnte die ja übernehmen. Das mit dem aktiven Zuhören.
Ein klassischer Mansplainer, dieser Max, dachte Katharina, während sie auf den Neuen zuging. Und es machte sie vergnügt, dass es endlich ein Wort für dieses Phänomen gab. Arg eigentlich, dass es so lange gedauert hatte, für so etwas Banales einen geeigneten Begriff zu etablieren. Überhaupt. Begrifflichkeiten und deren Abwesenheit, überlegte Katharina weiter. Wie konnte zum Beispiel jemand aus Norddeutschland ohne die Ausdrücke »Das geht sich aus« und »heuer« auskommen? Es war ihr ein Rätsel.
»Hallo«, sagte der fremde Gast. »Ich nehme bitte das Ungesündeste, das Sie auf der Karte haben.«
»Wie?« Katharina erwachte aus ihren Gedanken und sah sich den Typen genauer an. Er sprach sehr leise, und irgendetwas holperte in seiner Aussprache. Fast musste sie sich ein wenig vorbeugen, um ihn gut verstehen zu können. Er hatte etwas Unsicheres, fast Verfolgtes.
»Na ja, das Ungesündeste bitte. Also von allem, das Sie auf der Karte haben, möchte ich etwas. Fett, Zucker, Alkohol, solche Sachen – es gibt keine Grenze.«
»Aha.« Sie nickte und schaute weiter.
Er bestand quasi nur aus Muskeln und Fasern, durchtrainiert und auf eine Zeitschriftenart gut aussehend. Ein klassischer Light-Mann: entkoffeiniert, entrahmt, verpackt in unförmige Klamotten der Art Mich-kann-nichts-Entstellen. Dazu Bart, Brille und Mütze. Ein Typ Mensch, der sie normalerweise sofort in eine Art Desinteresse-Koma fallen ließ, so vorhersehbar war da immer alles. Aber das, was da aus seinem Mund kam, passte nicht zum Rest des Erscheinungsbildes. Interessant irritierend, dachte sie. Und: »Gerne«, sagte sie. »Einmal unser beliebtes Adalbert-Stifter-Frühstück, der Herr, kommt sofort!«