»Eines Abends, als ich mich gerade aufmachen wollte, um zu einem Treffen der pájaros de estrellas zu gehen, trat Maria, meine Vermieterin, an mich heran und fragte mich, ob ich sie nicht ein paar Schritte begleiten wolle, sie hätte Erledigungen zu machen und wäre für eine helfende, eine tragende Hand dankbar. Ich wollte schon abwinken und mich entschuldigen, da ich einen dringenden Termin hätte, aber in ihrem Blick lag etwas Unnachgiebiges, ja geradezu Unerbittliches. Ohne ein Wort zu verlieren, begleitete ich sie hinaus. Maria berührte mich leicht am Ellbogen und dirigierte mich so durch die Straßen bis hin zur Stadtpromenade, über die das aufgewühlte Meer brandete. Ich fragte mich, was sie denn hier, an der Stadtpromenade zu erledigen habe, aber da zog sie mich schon in eine kleine Nische, die von der Brandung unbehelligt blieb. So standen wir da, neben uns das Tosen der Gischt, in dem kaum ein Wort zu verstehen war. »Mira«, brüllte Maria mir ins Ohr, sie wisse, was die Sternenvögel so trieben, und die Polizei wisse es auch. Sie erzählte mir, dass der revolutionäre Staat heute Nacht zuschlagen wolle, dass es eine ganze Liste gebe von Menschen, die verhaftet werden sollen. »¿Qué hacer?«, Was tun?, fragte ich in das Meerestosen hinein. Maria sah mich an, dann seufzte sie. Nun, wir müssten uns wohl verstecken, oder – ihr Blick tauchte ein paar Sekunden lang unter die schäumenden Kronen der Wellen, die über die Promenadenmauer züngelten –, oder uns mit einer großen Anzahl an Menschen umgeben und uns an eine größere Öffentlichkeit wenden. Bei Marias Worten machte mein Herz einen Satz. Ich sah mich an der Spitze eines riesigen Demonstrationszuges, erhobenen Hauptes mit meiner Fahne in der Hand. »Mira«, riss mich Maria aus meinen Träumereien, ich müsse so schnell wie möglich loslaufen und meinen compañeras und compañeros Bescheid geben. Sie selbst unterhalte zwar gute Beziehungen zur alten Revolution, aber – ein kleines, schmales Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab – trotzdem denke sie, dass es Zeit sei für etwas Neues, mit dem die Menschen hier auch etwas anzufangen wüssten. Ein, zwei Sekunden lang sahen wir uns noch an, eine stumme Verneigung, ein stiller Abschied, dann rannte ich los, über die versandete, verwucherte Straße hechtete ich in das Gassenraster hinein, schnappte mir ein Fahrrad und keuchte den Hügel hinauf, hin zu dem Haus mit dem türkis gestrichenen Eisentor, hinter dem die anderen schon auf mich warteten.«
Die Gerissene | Leseprobe
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