VORWORT – Düfte sind wie Tagebücher (Auszug)
Wir leben in einer vom Visuellen durchdrungenen Kultur, dem Akustischen widmen wir bei Weitem weniger Aufmerksamkeit, geht es aber ums Riechen, so fehlen uns oft Achtsamkeit, Bewusstsein und die richtigen Worte. – Der Geruchssinn ist ein nachgereihter Sinn.
In den Nischen einer Dingwelt des Benannten aber – alles und jedes lernen wir sukzessive mit einem Namen zu belegen –, in den Oasen der Sprachlosigkeit führt Duft ein anarchisch-poetisches Eigenleben. Jenseits des völligen Erfassens durch Begriffe und der Gewichtung des Benennbaren entfaltet sich seine Wirkkraft in einem olfaktorischen Ausdruck reiner Gegenwart, als »Erinnerung aus der Tiefe der Zeit« (Doderer), als »Atemzug des Unbegrenzten« (Baudelaire).
Düfte verzaubern uns bereits als Kinder. Wir sind begeistert vom Riechen, von den sogenannten Wohlgerüchen wie auch von sinnlich-körperlichen, zumeist animalisch genannten Aromen.
Die Anwendung von Essenzen, das Räuchern mit Kräutern und Harzen nimmt in der Menschheitsgeschichte in unterschiedlichsten Zivilisationen und Religionen seit jeher einen ganz besonderen Stellenwert ein. Auf die Verwendung von Räucherstoffen in der griechisch-römischen Antike und der abendländischen Kultur verweist auch der Ursprung des Wortes Parfum, das auf das Lateinische per fumum, »durch Rauch, durch Dunst«, zurückgeht. Die Herstellung von duftenden Essenzen ist seit dem Altertum in den verschiedensten Kulturen überliefert.
Duftkreationen(1) können als molekulare Kunstwerke gesehen werden. Sie verfügen über eine ganz besondere Ausstrahlungskraft; dem duftenden Menschen wurde früh schon etwas sehr Anziehendes, Begehrenswertes zugesprochen.
Düfte sind wie Tagebücher, wie olfaktorische Briefe an die Liebsten, an Freunde, Mitmenschen, Zeitgenossen. Randvoll mit persönlicher Geschichte erzählen sie von Sehnsüchten, Begierden und Hoffnungen, in ihnen kommen Selbstdarstellung und Persönlichkeitsinszenierungen zum Ausdruck. Sie prägen das Vergangene, sind mit Erinnerungen verknüpft. (Jedem sein ganz persönlicher Proust-Effekt.) Ihre Form, ihr Stil, ihr Geist spiegeln die Zeichen der Zeit, die (sozio-)kulturellen Vorstellungen.
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