Die Hitze war ein riesiger drückender Körper. Müller legte Mantel und Sakko über seinen Rucksack, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und atmete schnell und flach. Er stand neben der Turbine, oben auf der mobilen Gangway. Sofort hatte er angefangen zu schwitzen. Die verdammte Turbine, dachte er, und dann begriff er, dass er in der Karibik war und es so heiß bleiben würde, wie es war. Müller lief über das Rollfeld, durch einen Gang, der von Pflanzen gesäumt war, die er nicht kannte, durch die Passkontrolle und wartete an dem Transportband auf seinen Koffer. Der Raum war heruntergekühlt und Müller zog seinen Mantel wieder an. Seine Nackenhaare waren nass. Hoffentlich ist Laura da, dachte er und kratzte sich an den Handgelenken. Er wusste nicht, wo sein Hotel war. Weder kannte er Lauras Telefonnummer noch ihre Adresse. Und er wusste nicht, wo der Friedhof lag, auf dem sein Bruder beerdigt war. Er kratzte sich. Der Hautauschlag, der zwischen Bogotá und den Anden fast verschwunden war, blühte wieder auf. Seine Handgelenke sahen aus, als würde er zwei breite Armreife aus dicht aneinandergefügten rötlich schimmernden Perlen tragen. Er trat mit seinem Gepäck ins Freie. Die Hitze schlug ihm entgegen, das helle Licht blendete. Er setzte den Rucksack ab.
»¡Hola!«
Sie hatte lange schwarze Haare. Ihre Haut war hellbraun. Ein blumiges, schulterfreies Kleid reichte ihr bis zu den Fußfesseln.
»Ich habe dich von den Fotos erkannt.«
Sie umarmten einander kurz und unbeholfen, während Laura ihn auf beide Wangen küsste.
»Wie war die Reise?«
»Gut. Ich bin etwas müde.«
»Ich habe dir ein Zimmer in der Altstadt reserviert. Es ist ein einfaches, aber sauberes Hotel.«
Sie nahm Daumen und Zeigefinger in den Mund, pfiff und zeigte auf eines der kleinen gelben Taxis. Der Fahrer sprang aus dem Wagen, nahm Müller den Koffer ab und verstaute ihn im Kofferraum. Dann sah er kurz auf Müller, wie er in seinem Mantel dastand, in der Linken das Sakko, in der Rechten den schwarzen Rucksack, und zwinkerte ihm amüsiert zu.
»Das brauchst du hier alles nicht«, sagte Laura, »es ist immer warm, auch nachts.«
»Ich habe das Sakko für den Friedhof mitgenommen.«
»Es ist viel zu heiß. Zieh ein kurzes Hemd an, das reicht.«
Laura setzte sich auf den Beifahrersitz, Müller nach hinten. Sie drehte sich zu ihm um und sagte: »Mein Gott, zieh den Mantel aus!«
Umständlich zog er den Mantel aus.
»Die Fahrt dauert nicht lange.«
Das Taxi reihte sich in einen Kreisverkehr ein und bog dann ab auf die Küstenstraße. Alle Fenster waren offen. Müllers Hemdkragen flatterten. Rechts lag das Meer fast unbewegt und glänzte. Neben der Straße standen drei zerfledderte Palmen und Hochhäuser, die auf sandigen Flächen emporragten. Müller lehnte den rechten Ellenbogen aus dem Fenster. Eine Gruppe Menschen wartete im Schatten einer Bushaltestelle. Pelikane kreisten über den Fischern, die auf dem schmalen Strandstreifen ihren Fang aus kleinen, weiß-blauen Hartplastikbooten entluden. Auf dem Mittelstreifen der Straße stand ein Schild, darauf in großen Lettern: »Cartagena de Indias«.
Da ist da, dachte Müller. Er war dankbar, dass Laura kein Gespräch begann. Er hätte nicht gewusst, was er sagen sollte. Ein Windflüchter wuchs über der nächsten Bushaltstelle. Es war alles unglaublich hell. Er blinzelte und blinzelte.
»Das hier«, Laura hatte sich zu ihm umgedreht, während sie mit dem Arm nach vorne zeigte, »ist die alte Stadtmauer.«
»Ja«, sagte Müller und wischte sich mit der linken Handfläche den Schweiß von der Stirn.
Der Wagen bog nach links und hielt sich entlang der Mauer. Dann begann die Stadt. Die Geschäfte in den niedrigen Häusern waren geöffnet. Mopeds, von denen sie knatternd überholt wurden, Busse, die hupten, ein komplettes Durcheinander, das Müller von der Rückbank aus beobachtete, während er mitsamt seiner Kleidung an der Bank klebte. Der Fahrer diskutierte kurz mit Laura, die dann mit dem Zeigefinger die Richtung vorgab. Das Taxi hielt in einer engen Gasse.
»Wir sind da. Kauf dir Wasser im Hotel. Es ist besser, wenn du kein Wasser aus der Leitung trinkst. Es ist nicht sauber. Ich hole dich hier in einer Stunde ab. Wir trinken einen Kaffee zusammen und reden, ja?«
Müller nickte. Laura bezahlte den Fahrer.
»Und dann gehen wir zu dem Friedhof.«
Der Landvermesser | Leseprobe
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