»Beim Fischerhafen angekommen, bleibt dem jungen Mann nichts anderes übrig, als sein Auto auf einem der laut Bodenmarkierungen Anrainern vorbehaltenen Parkplätze abzustellen. Einige Kleinlaster blockieren die Zufahrt zu dem für Besucher vorgesehenen Bereich. Weshalb, wird dem jungen Mann erst klar, nachdem er ausgestiegen ist und sich ein wenig umgesehen hat. Die Fischerboote sind soeben eingetroffen, und die Einkäufer der verschiedenen Restaurants, denen die Kleinlaster gehören, können es nicht erwarten, sich die besten Stücke der fangfrischen Ware zu sichern. Im Gegensatz zu den chaotisch abgestellten Autos präsentieren sich die Fischerboote gewissenhaft nebeneinander vertäut, und begleitet vom dumpfen Klopfen der hölzernen Planken, die immer wieder den Steg berühren, verwandeln sich die Seeleute in Händler. Obwohl zum ersten Mal Zeuge einer derartigen Metamorphose, bildet sich der junge Mann ein, mitzubekommen, wie es diejenigen, die auf See das Kommando innehaben, im Hafen in den hinteren Bereich ihrer Boote zieht. Es ist, als wollten sie mit dem, was da aus dem Landesinneren auf sie zuströmt, so wenig wie möglich zu schaffen haben. Wer eben noch die Netze geflickt und das Deck geschrubbt hat, übernimmt jetzt das Verkaufsgespräch. Die ganze Zeit über bewegt sich die Glut unzähliger Zigaretten in unzähligen Mundwinkeln wie ein Meer von Funktionslichtern auf einem im Dämmerlicht der Brandung schwankenden Armaturenbrett. Was da kurzfristig stärker und dann wieder schwächer leuchtet, liefert die Energie hinter verschiedenen, dem jungen Mann völlig unbekannten Begriffen. Putzige Dampfschiffe vergangener Tage fallen ihm ein, antiquiert wie im Grunde auch diese Fischer. Er denkt an die heiteren Fontänen der Wale, damals, als weder diese Tiere noch diejenigen, die sie gejagt haben, vom Aussterben bedroht waren. Mit einem Mal bekommen die leuchtenden Punkte in den Mundwinkeln der Seeleute etwas geradezu Sentimentales – in ihren Bann zu geraten, fällt nicht schwer. Der junge Mann fixiert einen von ihnen, dann einen zweiten, und folgt diesem auf seinem Kurs zwischen Angebot und Nachfrage. Ob die Fischer ihn für den Einkäufer eines Restaurants halten? Wahrscheinlich unterscheidet sich in ihren Augen eine Landratte nur unwesentlich von der anderen. Ein Händler auf einem der Boote bietet ihm einen Fisch an, aber der ist so hässlich, dass der junge Mann seinen Blick abwendet. Es folgt ein Hummer, dessen verzweifelt ins Leere schnappende Scheren geloben, bis zum letzten Atemzug ums Überleben zu kämpfen. Gerührt schüttelt der junge Mann seinen Kopf. Schließlich wird ihm das Knäuel eines Tintenfisches gezeigt, der wenigstens friedlich entschlafen zu sein scheint. Das weitaus kooperativste Tier, denkt sich der junge Mann, und der Fischer, der das seinem Gesicht abzulesen scheint, hebt die andere Hand und streckt zweimal hintereinander alle fünf Finger aus, als übermittle er einen Abschiedsgruß des Meeresbewohners. Nein, entgegnet der junge Mann mit Nachdruck. Kurz darauf steht er mit einem weißen Plastiksack, in dem sich ein schwabbeliger Leichnam befindet, auf dem altmodisch gepflasterten Pier, von dem aus sich mehrere Landungsstege wie hölzerne Finger dem Horizont entgegenstrecken. Auch wenn er den Sack gegen den anbrechen[1]den Tag hält, erkennt der junge Mann nicht mehr als die Umrisse des jeden Kubikzentimeter ausfüllenden Kadavers. Der Sack sieht aus wie vollgefüllt mit Tintenfisch.«
Der Junge Mann und das Meer | Leseprobe
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