Vorwort zum Sammelband von Elena Messner und Peter Pirker
Museen sind Orte der Präsentation. Das war lange das Verständnis von Häusern, in denen Objekte besonderer Bedeutung gezeigt werden. Museen können aber auch Orte des Verhandelns sein – wer was wie zu welchem Zweck zeigt. Sie können selbst infrage gestellt und ihr Sinn neu verhandelt werden. Diese Entwicklung von der Präsentation – die stets auch Repräsentation ist – zur Befragung und Erneuerung manifestiert sich immer wieder und an vielen Orten des kulturellen Gedächtnisses. Das Museum ist nur einer davon, das Denkmal und das Archiv andere. Wir beschäftigen uns in diesem Buch mit einem Museum, das seit mehr als 150 Jahren Krieg ausstellt – mit dem Heeresgeschichtlichen Museum in Wien (HGM). Es ist das größte Geschichtsmuseum Österreichs und es gilt als eines der größten in Europa. Wegen seiner institutionellen Verankerung trägt es eine besondere Verantwortung. Es ist im Eigentum der Republik Österreich, befindet sich aber nicht wie die eigenständigen bundesstaatlichen Museen im Verband der Bundesmuseen, sondern untersteht dem Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV). Somit erfüllt es nicht nur eine Repräsentationsfunktion für die Republik Österreich, sondern vor allem für das österreichische Bundesheer.
Seit dem Jahr 2019 wird über das HGM debattiert, nicht zum ersten Mal, aber intensiver als bisher. Es steht mittlerweile außer Frage, dass das Haus eine umfassende inhaltliche und institutionelle Neupositionierung braucht. Drei Berichte von wissenschaftlichen Kommissionen zur Überprüfung und Evaluierung des Museums, seiner Schauräume und seines Shops belegen diesen Befund. Auch der Rechnungshof veröffentlichte einen Bericht, der massive Missstände, eine ungeeignete Organisationsform und das Fehlen einer Antikorruptionskultur auf allen Ebenen feststellte. Zudem warfen zahlreiche Medienberichte, parlamentarische Anfragen verschiedener Parteien sowie zwei Tagungen und Ausstellungen der Initiative #hgmneudenken Fragen der thematischen Ausrichtung, der Personalpolitik und -führung, der Gebarung, zum Umgang mit Artefakten und Waffen und zur politischen Außenwirkung und Attraktion für rechtsextreme Gruppierungen wie den Identitären auf. Als Reaktion darauf hat das BMLV wiederholt inhaltliche und personelle Reformen angekündigt. Nicht zuletzt, da das HGM von einer großen Zahl von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und insbesondere von Soldatinnen und Soldaten, die als besondere Zielgruppe hervorzuheben sind, besucht wird, ist eine öffentliche Debatte über den Zustand und die Zukunft des Hauses demokratiepolitisch nicht bloß wünschenswert, sondern notwendig. Mit dem vorliegenden Buch möchten wir die breitgefächerte Auseinandersetzung nicht nur dokumentieren, sondern auf vielfältige Weise und im internationalen Kontext anregen und fortführen.
Dringlichkeit einer noch andauernden Debatte
Denn wir glauben, dass die grundlegende Reform eines öffentlichen Museums nicht bloß die Sache der Bediensteten eines Ministeriums ist. In einem Projekthandbuch des HGM zum Thema »Einführung Qualitätsmanagement und Controlling/Stabselement« vom August 2020 heißt es: »Das HGM muss zukünftig, abgeleitet aus den strategischen Zielvorgaben den Ressourceneinsatz in ablauftechnischer und organisatorischer Hinsicht den musealen Ansprüchen des 20. Jahrhunderts entsprechen.« Man könnte diese Formulierung als Fehlleistung abtun, wäre sie nicht symptomatisch. Das Heeresmuseum im Arsenal habe, schrieb Robert Sommer vor einigen Jahren in der Wiener Straßenzeitung Augustin, vor lauter Waffen keinen Platz für Fragen. Wir machen Platz für Fragen. Allen voran für jene, wie der derzeitige Museumsbetrieb im Arsenal vom 20. ins 21. Jahrhundert kommt und wozu es heutzutage ein Heeresgeschichtliches Museum überhaupt braucht. Was hat das HGM bisher geboten und welche Probleme sind in den vergangenen Jahren aufgetreten? Warum soll gerade das Verteidigungsministerium die historische Vermittlung von Kriegen gestalten, tragen und finanzieren? Unter welchen Bedingungen und mit welchen Leitlinien kann ein Museum mit dem Fokus auf militärische und staatliche Gewalt sinnvoll sein? Mehr als 40 Autorinnen und Autoren aus den Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften, dem Journalismus und der Kunst beschäftigen sich auf den folgenden Seiten mit diesen Fragen. Kuratorisch-museologische Überlegungen, historische Abrisse und Ausstellungsanalysen erhalten ebenso Platz wie Kommentare zur laufenden Diskussion, Thesen, Ideen und Visionen zum angekündigten Reformprozess. Viele der eingeladenen und im Folgenden angeführten Autorinnen und Autoren haben sich an der Debatte zum HGM bereits beteiligt, sei es im Rahmen der von Elena Messner und Nils Olger organisierten Tagung #hgmneudenken am 24. Januar 2020, sei es durch Interviews und Kommentare in Medien. Eine Reihe von Beiträgen entstanden im Kontext der am 20. und 21. Mai 2021 von uns im Literaturhaus Wien durchgeführten Tagung HGM neu – Chancen einer angesagten Reform.
Aufbau und Inhalt des Buches
Um nicht nur die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten, sondern auch um neue aufzuwerfen, nehmen die Autorinnen und Autoren die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des HGM in den Blick. Diese drei Begriffe, die auch Blick- und Denkrichtungen mitbestimmen, lieferten den Leitfaden für die Struktur des Buches, das in drei Abschnitte unterteilt ist. In der Sektion »Retrospektion« wird auf die Geschichte des HGM zurückgeschaut und eine historisierende Bestandsaufnahme des Hauses geboten. Unter dem Begriff der »Intervention« haben wir die Beiträge zusammengefasst, die eine Analyse und Kritik des heutigen HGM und seiner Geschichtsdeutung leisten. Mit dem Begriff der »Vision« sind jene Beiträge übertitelt, die sich der Öffnung von Möglichkeitsräumen und dem Austausch von Zukunftsideen für das Museum widmen.Vorangestellt sind den drei Sektionen drei Auftakttexte. Elena Messner gibt einen Überblick der bisherigen Eckpfeiler der Debatte, während der Text von Mario Keller eine kritische Führung durch die Schausäle des HGM bietet, zu der sich alle an diesem Museum Interessierten auch live eingeladen fühlen sollen. Peter Pirker rekapituliert die geschichtspolitischen Weichenstellungen zum HGM nach 1945 entlang der Frage, wer das Museum gestalten konnte. Außerdem werden die drei Sektionen von zwei künstlerischen Interventionen grafisch durchbrochen. Der Beitrag »In Wallung« stammt vom Künstler und Filmemacher Nils Olger und umfasst sieben Collagen. Die Fotoserie orientiert sich am derzeitigen Zustand der teils unvollständigen, verrutschten oder gar fehlenden Beschriftungen in den Ausstellungssälen des HGM. Die antiquierte Ästhetik variierender Hintergründe aus Jute, Raufasertapete oder Stoff und Schildern aus bemaltem Plexiglas, Messing oder Blech wie auch Ausdrucken auf weißem Karton wird in seinen Arbeiten aufgegriffen und mit vermeintlichen Ausstellungsobjekten ergänzt. Zitate aus dem bisherigen Pressespiegel zur Debatte um die Zukunft des HGM treten anstelle tatsächlicher Objektbeschriftungen. Der Bildbeitrag »Ansichtskarten vom HGM« umfasst weitere vier Collagen, in denen sich das Performerinnenduo Lichtenstein & Marionette mit dem Thema HGM künstlerisch, aktionistisch und sprachlich auseinandersetzt. Ihre Montagen sind visuell-poetischer Aktionismus, wobei die Text- und Bildbausteine zu einem großen Anteil das HGM selbst geliefert hat. Museale Anordnungen und Inszenierungen von umstrittenen Exponaten werden in der Plakatserie mit Zitaten von Museumsdirektion und Mission Statements des HGM konfrontiert und um eine unerwartete Komponente erweitert – den feministischen Blick.
Internationale und historische Zusammenhänge der Debatte
Die Auseinandersetzung knüpft an historische Debatten um Denkmäler und Geschichtsmuseen an, die seit den 1980ern ein wiederkehrendes Phänomen darstellen, dazu gehören die intensiven Diskussionen um Ausstellungen über die nationalsozialistischen Verbrechen, die Wehrmacht und den Widerstand gegen die NS-Herrschaft. Sie reiht sich aber auch in den museologischen Diskurs jener kritischen Stimmen ein, die die Legitimierung von Museen nicht einfach als gegeben hinnehmen, sondern ihre Funktion als Bildungs-, Kultur-, Erinnerungs- oder Lernorte befragen. Es ist durch Debatten im letzten Jahrzehnt unumgänglich geworden, den Blick auf Musealisierungsstrategien gänzlich neu zu fokussieren. Diese nötige Reperspektivierung betrifft sowohl Objektsammlungen, problematische Entstehungskontexte und die historische Nutzung von Museen, denen Strukturen von Ungleichheit, Gewalt und Diskriminierung eingeschrieben sind. Das gilt noch besonders, aber nicht nur, wenn es um die Darstellung von Kriegen in musealen Kontexten geht, weil hier die Spuren von politischen Machtverhältnissen überdeutlich sichtbar bleiben. Verwandt ist die aktuelle HGM-Debatte andererseits auch mit den Ereignissen rund um die »Denkmalstürze«, wie sie im Zuge der #BlackLivesMatter-Bewegungen seit spätestens 2020 in den USA und weltweit immer häufiger als Kritik rassistischer Diskriminierung und kolonialer Ausbeutung stattfinden. Diese Aktionen und die damit verbundenen Diskurse sind subversive Geschichtspolitik mit zum Teil radikalen Interventionen, um versteinerte Geschichtserzählungen im öffentlichen Raum und in öffentlichen Institutionen zu hinterfragen. Im HGM ist ein Denkmalsturz ausgeblieben; fundamentaler ästhetischer und politischer Kritik war das architektonische Erbe der Habsburgermonarchie aber immer wieder ausgesetzt, beispielsweise die Ruhmes- und Feldherrenhalle, wo höchste Kommandanten des österreichischen Bundesheeres gemeinsam mit dem Österreichischen Kameradschaftsbund (ÖKB) auch den »Opfergang« der Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg würdigten. Die Aura der Ruhmeshalle schien ihnen geeignet, auch die jüngere imperiale antisemitische und rassistische Kriegsführung in die militärische Tradition einzupflegen. Das Buch bietet eine weit über die konkrete Problematik des HGM hinausgehende inhaltliche Auseinandersetzung dazu, wie eine Demilitarisierung öffentlicher Räume bzw. Plätze aussehen könnte, welches Verhältnis Politik, Militär und offene Gesellschaft zueinander einnehmen sollen und wie die Demokratisierung von Museen voranzutreiben ist. Das HGM ist – freilich unfreiwillig – durch die Debatte der letzten zwei Jahre ein museologisches und politisches Handlungsfeld geworden, das zunehmend ermöglicht, über das Museum als Objekt und nicht nur als Medium nachzudenken. In diesem Sinne versteht sich das vorliegende Buch auch als eine Handlungsaufforderung, die begonnene multiperspektivische und multidisziplinäre Diskussion um das HGM öffentlich weiterzuführen.
Dank
Kurz vor Drucklegung des Buches ist unser Autor Michael Bayer verstorben. Er hat die Debatte um das HGM von Beginn an engagiert unterstützt. Dieses Buch ist seinem Andenken gewidmet.
Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren und allen, die an der Debatte teilgenommen haben, bei der Kulturabteilung der Stadt Wien für die Förderung der Tagung »HGM neu – Chancen einer angesagten Reform« und beim Literaturhaus Wien, insbesondere bei Barbara Zwiefelhofer für die kollegiale und professionelle Zusammenarbeit bei der Organisation. Der Philosophisch Historischen Fakultät der Universität Innsbruck und dem Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck danken wir für die Förderung der Drucklegung. Unser herzlichster Dank gilt Jože, Tatjana, Goran, Evi, Chiara und Hildegard.
Wien, 13. Juni 2021
Die nächste Präsentation findet am 19. Februar im vorarlberg museum statt. Mehr Infos gibt es hier.
Buchinfos:
Kriege gehören ins Museum! Aber wie?
Sammelband
von Elena Messner & Peter Pirker
Preis: 24 Euro