Korrespondenzen zu Elena Messners Nebelmaschine (Rückseitengespräch # 3)
Elena Messner und Eva Schörkhuber
I. Schreibprozesse
Eva Schörkhuber (S): Elena, in deinem Roman Nebelmaschine gibt es neben dem Handlungsstrang, der um ein fiktives Theater kreist, auch ein Stück im Stück – einen ausformulierten Theatertext, der etappenweise in die Romanhandlung, in die Geschichten rund um das Theater auf Lager, eingewoben ist und sich inhaltlich mit einem äußerst komplexen Wirtschaftskriminalfall befasst, der auch auf politischer Ebene weite Kreise zieht. Ich würde in diesem Zusammenhang gerne über Deinen Schreib- und Rechercheprozess sprechen.
Elena Messner (M): Für mich war von allem Anfang an klar, dass dieser Roman ein »detektierender« oder sogar »detektivischer« sein wird. Die große Herausforderung war darum, etwas immer nur selektiv Fassbares, wie es eben globale Wirtschaftsverflechtungen und jahrzehntelang vertuschtes Kriminal in der Finanzwirtschaft sind, zu erzählen, ohne es auf Banalitäten zu reduzieren. Ich wollte die beschriebenen Prozesse zumindest soweit fassbar machen, dass große wie auch kleine Zusammenhänge sich im Leseprozess offenbaren, dass »Mikro- und Makroökonomie« zusammengedacht werden, wie es eine Figur an einer Stelle sagt, und dass nicht wieder nur die Flucht in die Verrätselung, in das Unaufgelöste, Unverständlich-Bleibende, oder in ludistische Poetisierung, anders gesagt: ins Nichts-Wirklich-Erzählen-Wollen mündet.
S: Wie bist Du an die bestimmt sehr umfassenden Recherchen herangegangen, wie hast Du gerade diese sehr komplexen, mitunter auch ziemlich undurchsichtigen Zusammenhänge erzählerisch so aufbereitet hast, dass sie so les- und nachvollziehbar sind?
M: Gerade wenn man »undurchsichtigen« Zusammenhänge durchsichtiger zu machen versucht, so sehe ich das jedenfalls, brauchte es einerseits eine ebenso komplizierte, anfangs undurchsichtige Struktur im Roman, die aber, das war für mich klar, nicht undurchschaubar für die Leserschaft bleiben sollte, so frei nach dem Motto: »Du verstehst das eh alles nicht!« Es gehört auch die Aufdeckung erzählt, nicht nur die Zudeckung. Das war die eigentlich harte Arbeit – Undurchsichtiges und dessen Entnebelung zugleich zu zeigen, da braucht es viele Tricks.
S: Diese »harte Arbeit«, wie Du schreibst, merkt man beim Lesen dem Roman tatsächlich nicht an: Der Weg in die »undurchsichtigen« Zusammenhänge erfolgt schrittweise: Wir lernen aus der Perspektive – aus der rückblickenden Perspektive – einer Figur zunächst den Ort, an dem diese Zusammenhänge buchstäblich auf die Bühne gebracht werden, kennen; dann nähern wir uns den verschiedenen Mittel und Formen, mit denen sie in Szene gesetzt werden; und zwischendurch »erhellen« die in die Romanhandlung collagierten Szenen aus dem Theaterstück das Thema: Wir verstehen sukzessive nicht nur, dass ein Wirtschaftskriminalfall reinszeniert wird, sondern auch, dass diese Reinszenierung einen genuinen politischen Akt – in mehreren Akten, sozusagen – darstellt. Das muss eine immense Montagearbeit gewesen sein. Du hast ja zum Beispiel nicht nur das Stück im Roman portioniert und collagiert, sondern dieses Stück so verfasst, dass es im Roman die Handlung und die Figuren vorantreibt, oder: vor sich her treibt.
M: Ja, und darum musste einerseits das eine Element vor dem anderen fertig sein: in dem Fall war das die Romanhandlung. Aber später musste ich ständig nachschärfen, ob die beiden Teile wohl immer noch ihren eigenen inneren, aber auch den aufeinander bezogenen Logiken folgen. Dann ist da die Aufführung bzw. die Probenprozesse selbst als weitere Elemente, die ich als Inszenierungsbeschreibungen über den gesamten Roman verteilt habe; von der Premierenvorstellung als Fanal mal ganz abgesehen. Und die Projektionen, eigentlich erzählte Fotografie und erzählter Film, sind ebenfalls an vielen Stellen so gestreut, dass sie wiederum mit dem Stück und auch mit der Romanhandlung ständig verflochten bleiben. Ich wollte, dass all diese Elemente ein langsames Zu-Wissen-Kommen, ein Aufspüren nachempfinden lassen. Dass es aber auch einfach Spaß macht, und man diese Verschachtelungen beim Lesen gar nicht merkt – ganz anders als etwa die Strategie, den Aufbau eines Romans durch Metareflexion ständig offenzulegen, die mir in dem Fall zu simpel und berechenbar erschienen wäre – zu möchtegern-postmodern. Da gibt es dann ja natürlich noch deformierte protokollarische, dokumentarische Passagen, theaterphilosophische oder wirtschaftstheoretische Zitate – ich hoffe aber sehr, dass man beim Lesen nichts von diesen handwerklichen Spompanadeln merkt. Sondern, dass man einfach durchflutscht durch ein paar wirre, spannende Tage eines Theaterwinters.
S: Du hast die Arbeiten an Deinem Roman noch in Marseille, während Deiner Tätigkeit als Universitätslektorin, begonnen: Hat die räumliche Distanz Einfluss auf Deine Recherchen und Schreibarbeiten genommen?
M: Anfangs insofern schon, weil es komplizierter war, an konkrete Unterlagen oder Dokumente zu kommen; aber ich war oft in Österreich und habe dort weiter recherchiert. Wirtschaftsskandale gab es in Frankreich gewiss genug als Inspiration. Fürs Schreiben selbst war es aber eigentlich egal, wo ich saß, außer, dass Marseille natürlich einer der wunderbarsten Schreiborte ist, den ich mir vorstellen kann.
S: Haben sich aus Deiner Sicht auch Aspekte von Deinem damaligen Aufenthaltsort eingeschrieben – in den Text oder auch in Deine Sichtweise auf den Stoff, an dem Du gearbeitet hast? Hat es Vorteile, an einem Ort zu schreiben, der nicht unmittelbar mit jenem des neuen Romanprojekts in Zusammenhang steht? Hat es Nachteile? Du kannst ja im Grunde eine direkten Vergleich ziehen: Dein Roman In die Transitzone wurde ja auch in Marseille verfasst, dieser spielt in einer Stadt am Mittelmeer, war also räumlich Deinem Schreibort viel näher als die Kleinstadt in Nebelmaschine.
M: Für die Transitzone war es nicht denkbar, sie anderswo als »vor Ort« zu schreiben. Das ist ein politischer Hafenstadtroman, der davon lebt, das ich vor allem am Schreibbeginn jede Häuserfassade, jede Stimmung, jede Auto- oder Busfahrt, die in Marseille auf mich eingewirkt haben, in den Text fließen habe lassen. Es gab nur das Recherchieren – das Erleben – das Sehen vor Ort und mit dem Ort. Die Nebelmaschine hatte aber insgesamt einen viel längeren Reifeprozess. Das Sammeln, Recherchieren, Notieren von Ideen hat schon vor sehr vielen Jahren begonnen, wenn auch zunächst im Kopf und dann erst am Papier. Der Bankenskandal, der mich zu diesem Roman angespornt hat, verfolgt mich schon seit wirklich langer Zeit. Als Versprechen an mich selbst, diesem Wahnsinn einmal in einem größeren literarischen Projekt nachzugehen, habe ich schon in meinem Debütroman ein kleines persönliches Echo für mich hinterlassen, eine Notiz, dass da etwas kommen muss. Insofern war der Roman über große Distanzen hinweg – zeitliche und räumliche – doch immer sehr nah an mir dran, egal wo und wann er sich dann konkretisiert hat.
S: Verrätst Du die Stelle aus dem Langen Echo, Deinem Debütroman, wo sich diese Notiz, das »kleine persönliche Echo« befindet?
M: Eine der Hauptfiguren im Langen Echo ist die Direktorin des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, Vertreterin eines rechtskonservativen, rückwärtsgewandten Diskurses. Sie veranstaltet eine große internationale Konferenz anlässlich des 100-jährigen Wiederkehr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Und diese Konferenz wird durch die Hilfe ihres Ehemannes von der Bank, bei der er arbeitet, finanziert. Das ist dann ausgerechnet eine Bank, die sich, wie es im Roman heißt, »zwischen den Alpen und der Adria« befindet und die im gesamten Balkan-Raumes erfolgreich Geschäfte macht, während die Direktorin heimlich von der kriegerischen Eroberung dieses Raumes träumt. Ja, das war mein kleines, satirisches Echo auf die Hypo Alpe Adria und ihre oft zweifelhaften Geschäfte im ehemaligen Jugoslawien. Jetzt im dritten Roman habe ich das aufgefangen und neu zum Vibrieren gebracht.
II. Figuren
S: Deine Erzählerin Veronika, eine Lichttechnikerin aus einem Stadttheater, kommt in das Theater auf Lager. Sie wurde von ihrer Intendantin Magda, mit der sie sich prinzipiell gut versteht, dorthin geschickt, um nachzusehen, wie es um diese neue, freie Theater-Initiative steht. Dabei ist es interessant, dass Veronika als an einem etablierten Theater-Haus beschäftigte Lichttechnikerin einen eigenen Blick auf das Theater auf Lager hat – der sich mit der Zeit auch ändert, wobei Veronika sowohl die Geschichte des Theaters auf Lager, als auch ihre Perspektivenwechsel darauf rückblickend erzählt, was erzähltechnisch durchaus herausfordernd ist, im Roman aber wunderbar funktioniert. Die rückblickende Konstruktion erlaubt Veronika ja auch eine gewisse Distanznahme, was wiederum eine weitere Reflexionsebene eröffnet – sowohl auf »die Ereignisse rund ums Theater auf Lager«, als auch auf ihre Rolle dabei. Sie blickt immer wieder auf ein Szenario zurück, auf eine Konstellation der Akteur*innen, da heißt es etwa: »Wenn ich an weitere Eindrücke zurückdenke, die diese Stunden bei mir hinterlassen haben, sehe ich indessen vor allem eines: mich, als Technikerin, die den gesamten Abend nur eines im Kopf hat: das Licht. Ich sehe, wie die Halle ständig ihre Farbe wechselt, was sonst kaum jemandem auffällt, sehe, wie immer neue Zonen im Raum entstehen …« – Sie reflektiert in der Erinnerung sozusagen auch auf ihren eigenen Blick, macht ihn sichtbar, so, wie sie später dem Techniker vom Theater auf Lager vorschlagen wird, das Licht selbst auf der Bühne sichtbar zu machen.
M: Veronika hatte im Roman als Figur für mich mehrere Aufgaben zu erfüllen: sie markiert eine ständige Zwischenposition: sie gehört nirgendwo richtig hin, und ist doch in mehreren Welten unterwegs: sie wandelt zwischen einem staatlich gut subventionierten, etablierten, wenn auch kleinstädtischen Spartentheater und der freien Szene hin und her – halb freiwillig, halb gezwungen. Sie ist Technikerin, und gehört darum nicht im engeren Sinne zum künstlerischen Ensemble – Schauspiel, Regie, Dramaturgie, Textarbeit usw. Sie ist aber auch Lichtdesignerin, eine Kunsthandwerkerin, die mit dem Material Licht arbeiten möchte. Zugleich ist sie eine ziemlich abgebrühte Pragmatikerin. Sie fühlt sich solidarisch mit der freien Szene, sehnt sich danach, kommt aber auch nicht mit ihr zurecht und erkennt die Mängel, die Probleme, die vergeblichen Utopien. Und ja, sie erinnert gerne Szenen und Konstellationen, wodurch ihr Blick nicht nur Emotion erlaubt, sondern auch eine soziologische oder eben: detektivische Analyse bietet. Und – sie erinnert sich stückweise, akkumulierend. Ohne sie und ihren Blick hätte ich niemals Spannung herstellen können. Dann kommt dazu: sie ist kritisch distanziert, und zugleich ein unwillentlich treibender Faktor des Geschehens. Ich habe sie mehr und mehr in die Handlung verwickelt, sie mit allen anderen Figuren und mit Informationen vernetzt, um auch ihre eigene Veränderung sichtbar machen zu können, ihre zunehmende Involviertheit, die gerade im Rückblick noch einmal anders von ihr selbst gesehen wird: all das sind Einladungen an die Leserschaft, selbst ihren Blick auf das Erzählte zu hinterfragen: wie viel wissen wir? Und wie viel wissen wir – noch – nicht? Wichtiger vielleicht: warum wissen wir es nicht, und was können wir gegen dieses Nicht-Wissen tun, welche Netze auswerfen, welche Netzwerke gründen, welche Plattformen und Kunstformen nutzen, wie Informationen verarbeiten und weitergeben?
S: Beim Lesen Deiner Antwort fällt mir ein, dass Licht, mit dem sich Veronika vorrangig beschäftigt, physikalisch gesehen ja auch eine Zwischenposition, zwischen Welle und Teilchen, zwischen Bewegung und Materie, einnimmt. Diese Zwischenposition sichtbar zu machen ist es, was Veronika sich für ihre Welle-Materie, das Licht, vornimmt, und was Du Dir, soweit ich verstanden habe, für Deine Beobachterin-Akteurin, für Veronika, vorgenommen hast. Das Interessante dabei ist, dass diese Zwischenposition nicht gleichsam frei schwebend, willkürlich und beliebig fluktuierend, sondern an einen Ort, an einen bestimmten Handlungskontext mit all seinen sozialen, politischen und historischen Rahmenbedingungen gebunden ist – was wiederum auf beide Aspekte, auf die Beobachterin und die Akteurin, Einfluss nimmt. Ich denke ja, dass nur unter Berücksichtigung und Kenntnis konkreter Voraussetzungen Handlungsspielräume – für die Figur und die Leser*innen – eröffnet werden können. Und darum nun meine Frage nach den anderen Figuren deines Romans: Die Beteiligten des »Theaters auf Lager« agieren allesamt auf mehreren Ebenen, sie sind Autor*innen, Schauspieler*innen, Aktivist*innen. Dabei geraten auch ›klassische‹ Rollenbilder ins Rutschen, etwa im Hinblick auf eine Autorinnenschaft, die sich gegen kapitalistische Strukturen wendet und sich dennoch in Verwertungslogiken im Literatur- und Theaterbetrieb einschreibt: Der Blick Veronikas auf die Theaterautorin, Laura, verkörpert dieses Dilemma – es ist ein an etablierten Strukturen geschulter Blick, trifft er in diesem Fall, im Falle des Theaters auf Lager tatsächlich (noch) zu?
M: Ja, auch Laura, die Theaterautorin, die als erstes Rätsel für die Ich-Erzählerin Veronika eingeführt wird, ist eine Figur des »Dazwischen« – ihre Position im Theater bleibt anfangs eher unklar, und wird später zentral. Sie ist natürlich für mich auch eine, ja, Verkörperung der Frage nach Autorinnenschaft überhaupt, oder auch von Verantwortlichkeit – im sozialen, politischen Sinne. Sie entzieht sich allen bekannten Klischees – sie ist keine narzisstische, auf ihr Werk übermäßig stolze, keine ihr Werk überhaupt ernstnehmende Person, die versucht sich am Theater- oder Literaturmarkt irgendwie zu behaupten. Für sie ist das Theater, das Schreiben ein fantastisches Mittel zum Zweck. Ich denke, man kann sie nicht anders als hochironisch lesen, wenn man Kulturbetriebe kennt. Nimmt man sie aber ernst, so ist sie das personifizierte subversive Schreiben, ein – zumindest aus heutiger Sicht vorerst noch – utopisches Schreiben, das außerhalb kapitalistischer Logiken existieren könnte. Nur stellt die Romanhandlung gerade diese Utopie wieder auf den Kopf und zeigt auf, wie unauflösbar diese Verflechtungen sind, wie wenig autonom Schreiben oder Kunst oder Kultur überhaupt sind: das öffnet die Fragen nach den Bedingungen jeder Kulturproduktion, nach dem literarischen Markt, den ökonomische Abhängigkeiten. Immerhin wird das »Theater auf Lager« im Endeffekt doch als Geschichte eines – wenn auch grandiosen und widersprüchlichen – Scheiterns erzählt.
S: Ich möchte sehr gerne noch einmal auf das »Hochironische« der Autorinnenposition von Laura zurückkommen: Sie pfeift auf die Autor*innen-Aura, auf die ganze Hochstilisierung der Autor*innen-Person, auf der ein gewichtiger ökonomischer Teil des Theater- und Literaturbetriebs basiert. Ihr Schreiben ist das Sammeln von Riesenmengen an Daten, wodurch jede Vorstellung von einem ausschließlich aus sich selbst schöpfenden Schreibakt subvertiert wird. Diese Art des Schreibens produziert gleichsam einen Überschuss an Welt – oder bildet sie diesen ›nur‹ ab? Ist dieses Sammeln von Daten, von Dokumenten und Belegen, à la Wiki-Leaks ein neuer, zeitgemäßer, subversiver literarischer Zugang zur Welt? Oder ›nur‹ die Grundlage dafür? Und wie verhält es sich dann mit der Frage der Aufarbeitung dieser Daten, der Kontextualisierung und Inszenierung? Mit den Erzählanordnungen, den Collagen und Montagen, die ja dann doch wieder von einer Person, der Autorin oder dem Autor, ausgeführt werden?
M: Auch darauf gebe ich im Roman eine nicht nur ironische Antwort. Das als ständiges »Zu-viel« inszenierte Schreiben und Recherchieren wird ja am Schluss von Laura an andere, äußere Instanzen verschoben, die ebenfalls AutorInnenschaft oder Verantwortlichkeit verkörpern – Laura, Laurentia, die Lorbeerbekränzte, hat alles nur gesammelt, geschrieben und mitinszeniert, um es an andere, wie es im Roman heißt, »Endverbraucher« weiterzureichen. Sie hat sich nicht als tote Geliebte zur Muse des Dichters machen lassen, sondern sich selbst zum Mittel für einen politischen Zweck gemacht. Für radikale politische Kunst braucht sich Laura selbst nicht mehr – und einen Petrarca erst recht nicht. Natürlich ist das alles auch ein schmunzelndes Ablehnen des oft maskulinistischen Geniekults, der durch Starkult und Selbstmarketing ersetzt wurde. Ich will damit nicht sagen, Subversion sei heute nur noch als Ironie oder Zitat zu haben, sondern gerade umgekehrt: Subversion ist die konsequente politische Perspektive, die immer schon Ablehnung der Überhöhung in sich tragen muss. Nimmt sich ein Literat in seinem Größenwahn und Narzissmus ernst, ist er auch affirmativ dem kapitalistischen Markt, oder dem bürgerlichen Begriff von Autorschaft gegenüber. Das geht mit politischer Subversion schwer zusammen. Und darum steht das »Theater auf Lager« für etwas ganz anderes: De-Romantisierung, Ent-Auratisierung der Kunst, des Theaters, der Literatur – und der Politik oder der Wirtschaft. Aura – und Petrarcas tote Muse Laura – sind ja im Religiösen und im Mythos beheimatet. Und zugleich dürfen wir nicht vergessen, dass jeder Versuch der Entmythologisierung – vorerst – einen neuen Mythos erschaffen muss. Der neue Mythos meiner Roman-Laura ist die Banalisierung kleinbürgerlicher, maskulinistischer und kapitalistischer Vorstellungen von Schreiben und Autorschaft, und nur diese Banalisierung ermöglicht es ihr, radikale, technikbasierte, antikapitalistische Propagandakunst zu machen. Letztendlich ist das ein noch grandioserer Größenwahn als der des auf Millionen Buchseiten dominierenden Literaten-Ichs, das sich narzisstisch selbst genügt, weil es glaubt, es erschaffe als Genie einfach aus sich heraus Welt oder Wirklichkeit. Lauras Größenwahn ist nicht so selbstgenügsam, es ist der imponierende, atemraubende Größenwahn politischer Kunst und Kollaboration.
S: Zur Rolle der Intendantin Magda: Wir haben vorhin schon über Veronikas an traditionellen Theater-Haus-Strukturen geschulten Blick gesprochen – obwohl sie dem etablierten Theaterbetrieb ja auch kritisch gegenübersteht. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, wie schwierig es ist, einen Perspektivenwechsel – auch durch eine neue Besetzung – zu vollziehen: Einerseits das Theaterhaus selbst, das sich die Intendanz aneignet und neue Formen in die architektonischen Schranken weist; auf der anderen der strukturelle Sexismus, der sich seinen Weg bahnt – die Frau an der Spitze eines Theaters muss ›naturgemäß‹ das Doppelte und Dreifache leisten und ist doppelt und dreifach ›unfähig‹, wenn es zu keiner merklichen Veränderung, zu keiner ›wirklichen‹ und nachhaltigen Innovation kommt … Ich sehe darin die Grenzen – also Grenzen struktureller Art – von Magdas Möglichkeit zur Solidarität mit dem Theater auf Lager, würdest Du mir zustimmen oder vehement widersprechen? Welche Handlungsmöglichkeiten wohnen der Figur Magda als Intendantin inne?
M: Eben fast keine. Theater- und Kulturbetriebe sind ja immer noch so aufgebaut, dass – noch besonders als Frau – der herkömmliche Karriereparcours große Anpassungsleistung voraussetzt. Die Strukturen von Kulturinstitutionen sehen auch eigentlich künstlerische Handlungsfreiheit nicht unbedingt vor. Ich sage nur: Budgets. Subventionen. Der Druck, Säle zu füllen. Mediengeilheit. Publikumserwartungen. Der Druck, wiederbesetzt zu werden. Je größer eine Theater- oder Kulturinstitutionen ist, umso mehr muss sie solchem Druck standhalten und bleibt eingezwängt in die ständige Wahl zwischen Pragmatismus und Traum. So ist es auch in Magdas Stadttheater, und darum ist ihre behauptete Solidarität mit der freien Szene derart ambivalent.
III. Theaterräume
S: Im Theater und im Theaterbetrieb spielen Raumfragen eine große Rolle: Im deutschsprachigen Raum ist es üblich, von Theater-Häusern zu sprechen: Überspitzt formuliert ist es die vordergründige Aufgabe einer Intendanz, ein Haus zu verwalten – das Haus, seine räumlichen und strukturellen Architektoniken bestimmen insofern die performativen Formen und somit auch das Repertoire. Im Gegensatz dazu gibt es auch Formen, wo sich Theatergruppen die zu ihren Stücken und Inszenierungen passenden Räume suchen – eine Art parasitäres Theater: In diesem Sinne lässt sich das Theater auf Lager als parasitäres Theater bezeichnen. Was sind die Stärken und Schwächen von dieser Theater-Form aus Deiner Sicht – sowohl im Hinblick auf das Theater auf Lager als auch auf kultur- bzw. theaterpolitische Strategien im Allgemeinen?
M: Das Theater auf Lager hat einen unmittelbaren Bezug zum Ort, in dem es entsteht, und zu den sozialen Verhältnissen, in denen es entstanden ist. Es kann diesen Bezug auch gar nicht verschleiern oder wie traditionelle Theater-Häuser hinter dicken Mauern, Stuck und Samt, verbergen – es hat also gar keine Möglichkeit, eine Illusion von einem zeitlosen Theater zu generieren, sich für unabhängig von Zeitgeschichte und Raumpolitiken zu erklären. Es zeigt immer schon seine Entstehungs- und Eigentumsverhältnisse auf. Oder besser: es stellt seine ökonomische und politisch-ideelle Verankerung, so könnte man sagen, permanent aus – wie man etwa seine Hautfarbe immer ausstellt, weil sie sich über den ganzen Körper zieht. Diese Verankerung ist auch eine in der Kärntner slowenischen Community – viele der Romanfiguren sind zweisprachig, auch wenn das vordergründig nicht markiert wird, erst ihr Bauernhof und ihr Lagerhaus ermöglichen alles Geschehen. Das bedeutet: die Grundlage aller Ereignisse im Roman ist nur durch die Arbeit einer sprachlich-kulturellen Minderheit, der eine Unterdrückungsgeschichte eingeschrieben ist, gegeben. Und zugleich, auch ohne diesen, sagen wir sprachlich-kulturellen bzw. politischen Zusatzaspekt, wird durch die periphere Lager-Situation des Theaters nicht nur das transitäre Moment dieser kurzen, utopischen Periode des »Theaters auf Lager« erzählt, sondern die Frage der Auswirkungen der Wirtschaftskrise, die immer auch die Frage nach der Neuordnung der Eigentums- oder Machtverhältnisse ist, noch mal gedreht – denn die Basis für alles, was im Roman geschieht, ist der Enthusiasmus eines verarmten, verschuldeten, von offizieller Hand im Stich gelassenen holzwirtschaftlichen Familienbetriebs. Es sind zuallererst die Bauern, Bäuerinnen, Handwerker, Arbeiterinnen, und erst in zweiter Linie auch Künstler und Künstlerinnen, die ein subversives Theater ermöglichen. Dieses Theater ist eine bewusst profane, periphere, ja, proletarische Angelegenheit. Das macht es politisch. Und verletzlich. Deswegen darf es letztendlich auch nicht sein, oder besser: ist es nur in der Erinnerung der Ich-Erzählerin.
S: Da sind wir wieder bei der Frage nach den Zwischen- oder eben auch den Randpositionen, die das Ergebnis von Verdrängungs-, Diskriminierungs- und Ausschlussprozessen sind: Die konkreten ökonomischen und sozialen Bedingungen beschränken einerseits Handlungsmöglichkeiten, sie eröffnen aber auch die Möglichkeit einer »kurzen utopischen Periode«, die, so würde ich das sehen, beim peripheren Theater auf Lager auch dadurch geprägt ist, dass es sich nicht an vorherrschenden, als zentral geltenden Maßstäben orientiert, und sich also nicht mit dem berühmten Nach- und Aufholbedarf eindecken lässt, der die Menschen ›an den Rändern‹ leichter regierbar machen soll. Welche Konsequenzen haben diese konkreten Bezüge zur Zeitgeschichte aber auch hinsichtlich der Form Theater? Oder: Welche Konsequenzen können daraus für eine neue Form des politischen Theaters gezogen werden?
M: Im Grunde sehe ich als Zukunft des politischen Theaters keine neue Form, sondern eine uralte: es ist die Idee des Volkstheaters oder der Volksbühne; wobei ich freilich einen vom völkischen Gedanken unkontaminierten, vielmehr sozial definierten Begriff des Volkes meine. Es gab immer schon ein Theater für das Volk als eine Gruppe, oder Klasse, die von bürgerlichem und adeligem Theater ausgeschlossen war. Ja, das Fest, der Karneval, oder auch die Wanderbühnen, Aspekte dieser nicht-staatlichen, nicht-höfischen, nicht-institutionalisierten, de-klassierten, auf Interessen des Publikums hin ausgerichteten Theaterformen trägt das »Theater auf Lager« in sich, weil es interventionistisches und investigatives Theater sein will und gar keine konventionelle Bühne dafür braucht, ja, weil die Bühne in ganz andere Sphären verlagert, und weil das Publikum ganz anders konzipiert ist. Politisch ist dieses Theater eben gerade, weil es sich in Wirklichkeit einen Dreck schert ums Theater als Kunstform, sondern von einem klaren, konkreten politischen Ziel her gedacht ist. Nur so kann es selbst ein politisches Ereignis werden. Mich hat da immer wieder Jura Soyfers berühmte Ansage beflügelt, die oft absichtlich missinterpretiert wurde, gerade von konservativen Intellektuellen. Er sagte ja bekanntermaßen so klug: »Ob das, was wir schaffen, Kunst ist oder nicht, das ist uns gleichgültig. Wir dienen nicht der Kunst, sondern der Propaganda«, ein grandioses Plädoyer für eine soziale, politische Verantwortung des Theaters. Das ist auch schon eine 100 Jahre alte Ansage, und sie ist heute ebenso subversiv wie damals. Ähnlich finde ich, dass die – ebenso »alte« aber keineswegs »veraltete« – Theaterarbeit von Ödon von Horvath, dem ich in meinem Stück im Roman auch mit ein paar Zitaten und Figurennamen Blumen gestreut habe, heute noch relevant ist. Im übrigen denke ich nicht, dass die Fragen, die ich im Roman verhandle, bloß Konsequenzen fürs Theater haben sollten. Sondern: Konsequenzen für die Politik. Aber ja, da beißt sich die Schlange produktiv in ihren Schwanz: damit natürlich letztendlich auch wieder für Theaterpolitik.
IV. Eine neue Ästhetik von politischem Theater
S: Die titelgebende Nebelmaschine, soll, wie sich während der Inszenierungsprozesse am Theater auf Lager – auch angesichts der sehr beschränkten finanziellen und technischen Möglichkeiten – herausstellt, im Zentrum der Inszenierung stehen, und zwar nicht als möglichst unsichtbares unterstützendes Beiwerk: In diesem Sinne bricht das Theater auf Lager mit jeglicher Form von Illusions-Theater, indem es die Illusion, oder besser noch: die Verschleierung selbst ausstellt – was ja auch beim Wirtschaftskriminalfall, den Du im Roman verhandelst, eine große Rolle spielt. Vielleicht könntest Du etwas zu diesen Inszenierungen der Verschleierung schreiben – sowohl im Hinblick auf eine mögliche neue Form und Ästhetik des politischen Theaters als auch auf die Ermittlungen bezüglich Wirtschaftskriminalität, die weite Kreise bis hinauf zu hohen Regierungsstellen zieht.
M: Dazu passt wohl einfach am besten ein Zitat aus dem Roman, wo Veronika die Aktion des Theaters auf Lager folgendermaßen resümiert: »Das Theater also, um das es nicht ging, war nur der Ort, an dem, ein Ort, aus dem, ein Ort, mit dem – es war eine durchlässige Halle, aus der die Daten durchsickerten, wie das Wasser aus den defekten Rohren der Lagertoilette hervorgequollen war, oder das träge, grünliche Licht aus Edwins Pfandflaschen. Es war eine löchrig gewordene Oberfläche, durch die Wissen als Widerstand drang, genau wie der Nebel, der sich aus der Maschine zunächst über die Bühne und dann durch den Zuschauerraum bis ins Freie verbreitet hatte.«
S: Diese Passage verstehe ich auch als Programm für eine neue politische Theaterästhetik, in der es nicht mehr darum geht, soziale Verhältnisse und Verstrickungen abzubilden und dadurch einer soziologischen, mitunter auch psychologischen Analyse durch das Publikum zuzuführen: Das Theater selbst wird gänzlich neuen Maßstäben unterworfen, will sich selbst neue Maßstäbe setzen, indem die Grenzen von Bühne und Zuschauerraum, von Kunst und Leben, oder auch von literarischer Fiktion und politischem Ereignis durchbrochen werden. Wie können wir das weiterdenken, welche Voraussetzungen braucht es für eine weiterführende Umsetzung und welche Anforderungen stellen diese an Text, Regie, Schauspiel, Technik, Theaterhausarchitektur, Theatersubventionen … – oder vielmehr: an unsere Vorstellung von Text, Regie, Schauspiel, Technik, Theaterhausarchitektur, Theatersubventionen?
M: Ja, wie können wir das weiterdenken? In jedem Fall stellt sich diese Frage immer im Zusammenhang mit der Frage, wie wir unsere Vorstellungen von Wirtschaft, Warenverkehr, Gewinndenken usw. weiterdenken wollen. Wie wir Erzählungen über Wirtschaftsinstitutionen ins Theater bringen. Wie wir den gängigen Verwertungs-Logiken im kulturellen und in allen anderen Feldern etwas entgegenhalten. Wie wir jene Ideen verbreiten und solche Institution schaffen, die sich dem Kampf gegen Nebelmaschinen – egal ob jene im Theater oder die der Finanzwirtschaft erfolgreich stellen können. Wie wir uns insgesamt dem Vermarktungs- und Konkurrenzdenken entziehen können: in der Kunst, im Alltag. Das sind die Fragen, die der Roman stellt, und auf die er nur ein paar mögliche Antworten entwirft, oder die er vielleicht selbst nur spiegelnd beantworten kann, genau wie ich, und zwar mit: Ja, wie?