Oh-oh, yes I’m the great pretender
Pretending that I’m doing well
My need is such I pretend too much
I’m lonely but no one can tell
(Buck Ram)
Also, welchen Roman schreiben wir heute?
Okaydigoodywoody, hier haben wir schon die erste Idee: Unser Held ist 45 Jahre alt und Maschinen-Designer, ein gut bezahlter Job. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in einer noblen Gegend. Und er hat ein Hobby: Er spielt Gitarre in einer Death-Metal-Band. Aber seine Frau, seine Arbeitskollegen, seine Kinder wissen nichts davon. Er behält dieses Steckenpferd als sein kleines Geheimnis für sich. Seine Frau ist sehr konservativ. Lieber sagt er ihr, dass er zweimal die Woche Tennis spielen geht. Und das schon seit fünf Jahren. Seine ganze Verwandtschaft ist sehr religiös. Aber eines Tages passiert es: Ein Bandmitglied hat ein Demo-Tape aufgenommen und an Labels verschickt, und plötzlich steht der Band ein Major Deal ins Haus, ein Plattenvertrag, ihre Musik wird in Fernsehserien gespielt, beim Super Bowl-Finale … und dann die große US-Tour …
So. Aber was weiter?
Eine Möglichkeit: Er kommt nach Hause und muss seiner Frau nun endlich sein kleines Geheimnis gestehen. Sie ist zunächst sehr angepisst, aber da ein Haufen Geld ins Haus steht, freundet sie sich mit der Sache an. Ziemlich unspektakulär.
Zweite Möglichkeit: Er sagt ihr nichts und haut ab, geht auf Tour und hat Spaß mit Groupies.
Oder, Möglichkeit Nr. 3: Er sagt ihr nichts, bleibt aber bei ihr, beginnt mehr und mehr zu lügen: Er hätte einen neuen Job gefunden, bei dem er viel herumreisen müsse usw.
Aber warum sollte er das tun?
Weil die Familie sehr religiös ist und er Angst hat. Der Typ ist nicht wie du und ich, die bei der nächstbesten Gelegenheit sofort ihre Familien verlassen würden, wenn sich z.B. eine U.S.-Tournee ergibt.
Aber – Möglichkeit Nr. 4 – vielleicht geht es auch eigentlich vielmehr um die Frau, die verzweifelt ist und depressiv wird, nachdem sie der Metalhead verlassen hat. Also beginnt sie, Doom Metal zu hören, später Death Metal. Sie beginnt, diese Musik zu mögen. Sie verändert ihr Outfit, ihre Frisur, sie besucht die Konzerte ihres Ex-Mannes. Irgendwann schafft sie es, in den Backstage-Bereich zu gelangen, sie beginnen zu reden, er erkennt sie nicht einmal mehr. Sie trinken einiges. Dann gehen sie in sein schickes Hotel und vögeln, und erst da erkennt er sie wieder und schreit entzückt: »Oh, Emma, wie habe ich dich vermisst!!«
Das ist doch die allerbeste Story, die es überhaupt gibt, bitteschön!!!!
Die anderen Möglichkeiten nämlich, vor allem Nr. 3 … ich weiß nicht, ich hätte ziemliche Schwierigkeiten, daraus einen Roman basteln zu müssen. Ich könnte mich nämlich absolut nicht in diesen Mann hineinversetzen, der bei dieser konservativen Frau bleibt, die er ständig anlügen muss.
Ja, du müsstest dich in eine ziemlich schräge Person hineinversetzen.
Und das will doch niemand. Willst du das?
Nun ja, wir als Romanciers müssen das tun. Wir können nicht immer wir selbst sein. Da draußen passieren Dinge, da sind Menschen, die tatsächlich so schräg drauf sind wie unser Held. Da draußen gibt es Menschen, die sehr viel Angst haben.
Was meinst du mit »Wir können nicht immer wir selbst sein«? Willst du damit sagen, Thomas A. J. Ratia, Joe, Martty, Peter, die Frau mit dem zerbrochenen Parfüm … das alles warst du?
Die eine Hälfte war ich, die andere du.
Jesus! Nein!
Jesus! Doch!
Ich glaube, dass es Schriftsteller gibt, die sich in andere Menschen hineinversetzen können. Andere wiederum können das nicht. Die können nur über sich selbst schreiben, sind aber keineswegs schlechter deshalb. Beckett zum Beispiel. Willst du mir sagen, Beckett sei scheiße?
Beckett ist komplett selbstverliebt. Kein Vorstellungsvermögen.
Kafka, Henry Miller, Kerouac … die schreiben doch alle bloß von sich selbst. Cormac McCarthy nicht. Vielleicht ist Bred Easton Ellis in Cormac McCarthy. Ein richtiger Schriftsteller kann in seinem Bunker sitzen und Zeug erfinden.
Nein, er muss vorher rausgehen und Dinge wahrnehmen. Erst dann kann er zurück in seinen Bunker und schreiben, meinetwegen auch – unter Eindruck des Erlebten – seiner Fantasie freien Lauf lassen …
Nun ja, vielleicht stimmt beides mehr oder weniger. Vielleicht haben wir beide recht. Gut, okay. Jetzt aber zurück zum Bestseller.
Da ist also dieser Death-Metal-Typ, der Angst vor seiner Frau hat.
Die meisten Männer haben Angst vor ihrer Frau. Hast du das gewusst?
Was ist mit Frauen, die Angst vor ihren Männern haben?
Ja, natürlich! Aber was ich damit sagen will: Wir kennen diese Leute. Diesen Death-Metal-Mann findest du in mehreren Menschen wieder, die wir beide kennen. Ich will jetzt keine Namen nennen. Alles völlige Neurotiker jedenfalls. Ich würde gerne wissen, wovor diese Menschen eigentlich Angst haben. Also unser Held: Neurotiker mal drei. Er sagt seiner Frau, dass er einen Job hat, bei dem er viel auf Reisen sein muss. Gibt es einen Konflikt? Sieht sie ihn eines Tages im Fernsehen? Er muss jedenfalls seine zweite Identität verschleiern. Er setzt sich eine Perücke auf und schminkt sich. Vielleicht hat er normalerweise eine Glatze. Das ist dann einfach. Er ruft jede Woche zu Hause an und gibt vor, irgendwo auf Geschäftsreise zu sein. Wo ist da der Konflikt?
Die Frau muss doch irgendwie sein Geheimnis entdecken, oder? Alles andere wäre ja ein saudummer Roman. Diese ganze Geschichte ist ja jetzt schon ziemlich idiotisch. Vielleicht kann man sie an Bastei-Lübbe verkaufen. Dann gibt es sie als Groschenroman in jedem Supermarkt zu kaufen. Vielleicht sollten wir uns überhaupt besser auf so was spezialisieren.
Wie wär’s damit: Er wird von einem Fan angeschossen. Er überlebt, seine Frau liest in der Zeitung, dass auf irgendeinen drogenabhängigen Death-Metal-Musiker ein Attentat verübt wurde. Der Mann kommt nach Hause und hat eine Schusswunde. Sie schöpft Verdacht. Er kommt natürlich mit einer anderen Geschichte daher. Ein Überfall, was weiß ich.
Das ist wirklich der blödeste Roman, der uns je entfleucht ist. Vielleicht haben wir soeben tatsächlich den Jackpot gelandet.
Und was dann? Dann stirbt er doch an den Folgen dieser Verletzung. Er stirbt in ihren Armen, denn sie ist katholisch und verzeiht ihm alles. Und dann reist er durch Zeit und Raum, kommt in den Himmel und wird dort Mitglied einer Boygroup. Denn eigentlich wollte er niemals etwas anderes als das. Aber er hatte Angst, weil seine Freunde am Stammtisch ständig gesagt haben, Boygroups sind schwul. Also gab er sein ganzes Leben lang vor, ein harter Kerl zu sein, der Death Metal spielt. Er war überhaupt The Great Pretender, denn er hat ja auch seiner Frau nicht die Wahrheit gesagt, hat vor seiner Familie alles verheimlicht, und so weiter.
Gut. Exzellent. Oder auch nicht. Aber ein Bestseller bestimmt.