»Du blätterst in einem alten Buch. Und da ist er: Der wohlig muffige Geruch der mikrobakteriellen Zersetzung. ›Das Buch riecht gut‹ ist Ausdruck der Wertschätzung, noch bevor es inhaltlich zur Sache geht«, umreißt Paul Divjak den Zusammenhang von Literatur und Düften. Ein Gespräch über sein neues Buch Der parfümierte Mann (September 2020) und die Kunst, gut zu riechen.
Was hat dich dazu angetrieben, ein Buch über Düfte zu schreiben?
Am Anfang stand die Idee, eine Art »Coming-of-Age«-Geschichte mittels Düften zu erzählen. Im Zuge der Beschäftigung mit dem Thema rückte dann immer mehr das konkrete Faszinosum für vergessene, wiederentdeckte und klassische Parfums in den Vordergrund, die Begeisterung für »schöne«, im Buch als »wohlkomponierte Parfums« charakterisierte Düfte.
Dein Buch ist durchzogen von geistreichen, witzigen und anekdotischen Zitaten – wie erfolgte bei der Arbeit am Text die Recherche? Seit wann beschäftigst du dich mit dem Thema Duft?
Gerüche und Düfte beschäftigen mich seit meiner Kindheit. Immer schon haben sie eine große Anziehung auf mich ausgeübt. Professionell ist die Auseinandersetzung mit dem Thema als Schriftsteller und als Kreateur von Duftinstallationen und Düften seit vielen Jahren essenziell. Ich freue mich, wenn ich mit Sprache für Düfte begeistern und mit Düften Geschichten erzählen kann. Und das Bewusstsein für den Facettenreichtum des Olfaktorischen wecke.
Du sprichst in Der parfümierte Mann von »sozialisierten Nasen«. Inwiefern werden Düfte von Kultur zu Kultur anders wahrgenommen? Welche Faktoren spielen in der Sozialisierung meiner Nase mit?
Schon aufgrund unterschiedlicher Lebensweisen und Ernährung, verschiedener Vegetation und kultureller Vorlieben wie Abneigungen variiert das Spektrum des von unseren Nasen Wahrnehmbaren. Gesellschaftlich Geschätztes, Toleriertes und Tabus hinsichtlich des Olfaktorischen unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Das wirkt sich natürlich auch individuell auf unsere Nasen aus, prägt, was wir riechen und wie wir es bezeichnen. Aber auch, was wir kennen und – mehr oder weniger – benennen können. Oftmals fehlt uns für das Gerochene die Sprache. Diese zu schärfen, dazu anzuregen, Worte zu suchen und zu finden: Auch das ist ein wichtiger Aspekt in meinen Büchern Der Geruch der Welt und Der parfümierte Mann.
Nach welchen Kriterien verschenkst du Parfums? Wie weißt, du was zu deinem Gegenüber passt?
Parfums verschenke ich eher selten. Bisweilen aber erhalte ich Anfragen, maßgeschneiderte Düfte zu entwickeln. So wollte eine junge Frau einmal einen ganz persönlichen Duft für einen Ball. Ich suche in solchen Fällen das Gespräch, versuche den Menschen näher kennenzulernen, stelle ganz bestimmte Fragen und moduliere auf Basis dessen eine Komposition für ein individuelles Parfum. Ihres hieß: »Das perfekte Kleid«. – Es entwickelte sich auf ihrer Haut ganz unglaublich, hüllte sie balsamisch ein, ganz zart, wie ein edler, samtweicher Stoff. – Sie war begeistert – und die Ballnacht ein rauschendes Fest, wie sie mich später voller Freude wissen ließ.
Düfte treten in der Literatur oft in Zusammenhang mit (Kindheits-)Erinnerungen auf. Du beschreibst im Buch ähnliche Szenen und sprichst von Düften des Vergessens. Können Düfte auch traumatisieren?
Ja, definitiv verstehen es Düfte, auch negative Spuren zu hinterlassen. Das kann an ihren Strukturen und Eigenschaften liegen, aber auch an Erlebnissen, die mit ihnen verbunden werden. Im Allgemeinen sprechen wir dann aber eher von »Gerüchen«, der Begriff »Duft« ist doch eher positiv konnotiert. – (Ein penetrantes Parfum der Sitznachbarin, das einem die Luft nehmen und einen ganzen Theaterabend verderben kann, würde ich nicht unter »Traumatisierung« verbuchen.)
Gibt es einen Geruch, den du mit Literatur, Lesen oder Bibliotheken verbindest? Wie riecht er (für dich)?
Du blätterst in einem alten Buch. Und da ist er: Der wohlig muffige Geruch der mikrobakteriellen Zersetzung. – Ein ganz besonderer Reiz. Aber auch ein druckfrisches Buch kann etwas Spezielles verströmen. Ich habe eine Freundin, die jedes neue Buch zur Hand nimmt, es aufklappt und die Seiten Blatt für Blatt als Daumenkino für die Nase vorbeilaufen lässt. »Das Buch riecht gut« ist Ausdruck der Wertschätzung, noch bevor es inhaltlich zur Sache geht.
Im Herbst 2020 ist Paul Divjaks Buch Der parfümierte Mann in der Edition Atelier erschienen. Das Buch ist bereits im Handel erhältlich. Eine Leseprobe gibt es hier.
Veranstaltungstipp: Am 29. Oktober 2020 präsentiert Paul Divjak Der parfümierte Mann im Volkskundemuseum Wien. Hier geht’s zur Facebook-Veranstaltung.