»Das nächste Mal bleib ich daheim« ist das Debüt der jungen Vorarlbergerin Claudia Endrich, in dem sie über ihre eigene Reiselust sowie die ihrer Generation reflektiert und beginnt, die klimapolitischen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu hinterfragen. Im Interview erzählt sie, wie sie einen nachhaltigeren Lebensstil verfolgt, ohne sich dabei verrückt zu machen, und warum wir uns beim Einkaufen trotzdem öfter die Frage stellen sollten: Brauch ich das wirklich?
Was kann und soll dein Buch »Das nächste Mal bleib ich daheim« in deinen Augen auslösen?
Ich wünsche mir vor allem, dass die Leser*innen sich darin wiederfinden. Ich glaube, dass es vielen, die gerne und regelmäßig reisen, bereits so geht wie mir – dass wir uns in Wahrheit oft an den Kopf greifen, wenn wir uns selbst dabei beobachten, wie wir in einem Affentempo durch die Welt jetten und dabei einen riesigen Fußabdruck hinterlassen. Und dann trotzdem weitermachen. Natürlich wäre es schön, wenn manche darüber auch ins Nachdenken und sogar ins Ändern ihrer Reisegewohnheiten kommen. »Weniger ist mehr« gilt auch fürs Reisen, davon bin ich inzwischen überzeugt. Ich will darum niemandem das Reisen verbieten, sondern aufzeigen, dass wir uns selbst etwas Gutes tun, wenn wir uns ein bisschen einbremsen.
Du beschreibst im Buch, wie Claudia beginnt »Umweltsünder*innen« um sich herum zu verurteilen. Hast du ein paar gute Argumente, die helfen, Klimawandelleugner*innen zu überzeugen?
Mit Leugner*innen des Klimawandels hatte ich interessanterweise fast nie zu tun. Das ist ja gerade das Bizarre: Im Travel-Kosmos sind praktisch nur Leute unterwegs, die sich der klimatischen Konsequenzen bewusst sind, die sich allerdings die wahren Zahlen in Gedanken zurechtrücken. Darum sind CO2-Rechner, die konkrete Zahlen angeben, ein guter Anfang. Ein Beispiel: Einmal München–Lima und retour mit dem Flugzeug sind 3,6 Tonnen CO2 in meinem Fußabdruck. Ein Kilogramm Putenfleisch kommt auf 4,2 kg CO2. Das allein zeigt schon: Ein Langstreckenflug verbraucht oft so viel CO2 wie ein ganzer Mensch in einem Jahr. Das wollen wir gar nicht wissen, wenn wir am Flughafen sitzen und uns auf den Urlaub freuen.
Bestimmt fühlen sich viele Leser*innen nach dem Lesen deines Buches motiviert, ihren Lebensstil nachhaltiger und (umwelt-)bewusster zu gestalten. Was empfiehlst du ihnen?
Es gibt inzwischen so viele Blogs, Dokumentationen, Bücher, Magazine usw., die wirklich tolle Ansätze liefern. Ich persönlich finde es vor allem wichtig, wachsam gegenüber Greenwashing zu sein: Nachhaltiger zu leben, heißt nicht, alles neu zu kaufen, nur weil die neuen Sachen nachhaltiger sind. Dann konsumiere ich am Ende wieder mehr. Wir tun dem Planeten den größten Gefallen, wenn wir uns zuerst immer zweimal fragen: Brauche ich das wirklich? Muss wirklich was Neues her oder taugt das Alte eigentlich noch? Und diese Frage gilt natürlich auch fürs Reisen: Muss ich da jetzt wirklich hin? Und wenn ja, muss es auf diesem Weg sein oder gibt es eine Alternative?
Versuchst du anderen einen nachhaltigen Lebensstil vorzuleben? Wenn ja, wie machst du das?
Ich spreche eigentlich sehr ungern über mehr oder weniger nachhaltige Lebensgewohnheiten, weil ich da schon wieder das Gefühl bekomme, dass es schnell zu einer Art Wettkampf kommt, ähnlich wie beim Aufzählen von Ländern, die man schon bereist hat. Ich glaube, dass wir uns da oft in Kleinigkeiten verzetteln. Ist jetzt das regionale Bio-Joghurt besser oder doch das vegane Kokos-Joghurt vom anderen Ende der Welt? Seit mir bewusst ist, wie gravierend ein einziger Flug in unserer CO2-Bilanz ist, versuche ich wirklich, lieber darauf zu verzichten und mich im Alltag nicht von einzelnen Konsumentscheidungen wahnsinnig machen zu lassen.
Neben der Nachhaltigkeit thematisierst du in deinem Buch auch die Frage, was uns das ständige Reisen überhaupt persönlich bringt. Kann man Weltoffenheit und Toleranz auch von zu Hause aus lernen?
Davon bin ich überzeugt und ich kenne genügend Beispiele dafür. Wir können heute direkt vor unserer Haustür Menschen treffen, die anders leben und denken, genauso wie wir sie am anderen Ende der Welt meiden können. Das ist mehr eine Frage der inneren Bereitschaft. Mit Reisen hat das meiner Meinung nach heute wirklich nichts mehr zu tun.
Was glaubst du, warum ist das Verweigern des Reisens gerade unter jungen Leuten ein regelrechtes Tabu?
Viele hören und erleben, dass Auslandserfahrung für eine erfolgreiche Karriere oft eingefordert wird. Und wir alle können sehen, dass Reiseerfahrung ein Statussymbol geworden ist, so wie es früher vielleicht das Auto war. Das ändert sich interessanterweise durch das Thema »Flugscham« nur zum Teil. Individualität ist heute besonders wichtig, und eine Reise verspricht außergewöhnliche Erlebnisse, die ich erzählen oder posten kann. Darum war es mir so wichtig, auch davon zu erzählen, dass mir teilweise einfach langweilig war oder manche Dinge weit weniger spektakulär waren, als ich selbst gehofft hatte – weil das die Realität ist und bleibt.
Jonathan Safran Foer erzählte einmal, er hätte für seine Lesereise von »Tiere essen« am Flughafen öfter Burger bestellt. Er meint, gerade Klimaschützer*innen würden oft kognitive Dissonanzen erleben, da sie es nicht immer schaffen, ihre eigenen Forderungen an andere selbst völlig konsequent umzusetzen. Erlebst du auch manchmal solche Dissonanzen?
Ja, natürlich! Manche Dissonanzen gestehe ich mir wahrscheinlich bis heute nicht ein … Konkret bin ich zum Beispiel sehr stolz darauf, dass wir kein Auto besitzen. Tatsächlich nutzen wir aber immer wieder die Autos von Freunden oder Familie mit und fahren dann damit auch mal in den Urlaub. Dann steht man plötzlich mit ganz vielen anderen Deppen in der Toskana am Strand im Stau und sucht verzweifelt einen Parkplatz … peinlich, peinlich.
Wie gehst du damit um, wenn du nicht gerade ein Buch darüber schreibst? Erwischst du dich manchmal dabei, wie du Widersprüche innerlich wegargumentierst?
Das Buch hat mir wirklich geholfen, konsequent hinzuschauen, wenn irgendwo so ein Widerspruch auftaucht. Damals war ich ja auch sehr hart im Urteil über andere und mich selbst. Was ich daraus gelernt habe, ist: Nur was man annimmt, kann man wandeln. Darum versuche ich heute, nichts mehr wegzuargumentieren, aber auch nicht mit Bewertungen zu reagieren. Es ist okay, wenn wir nicht alles schaffen. Aber ich darf aus Fehlern lernen. Heißt konkret: Entweder Toskana ohne Strand oder ein Strand, an dem ich mir auch die Unterkunft in Gehnähe leisten kann. Wer beides haben will, steht im Stau und versaut sich damit ja doch nur die Urlaubsstimmung. Oder beim nächsten Mal einfach mit dem Fahrrad an den See, wer weiß.
Welche klimapolitischen Maßnahmen hätten für dich schon seit Jahren getroffen werden sollen?
Ich bin logischerweise absolut für eine CO2-Steuer. Fliegen muss teurer sein als Zugfahren und Zugfahren muss billiger sein, als mit dem Auto zu fahren. Apropos: Das österreichweite »Öffiticket« ist wirklich längst fällig, darum hoffe ich darauf gerade sehr. Ich träume von einem europaweit gut vernetzten, stark ausgebauten Zugverkehr zu leistbaren Preisen. Davon abgesehen wünsche ich mir politisch einfach mehr Commitment zum Klimaschutz. Manche meinen dann, man müsse den Leuten auch sagen: »Das wird womöglich wehtun, da müssen wir den Gürtel enger schnallen.« Ich glaube, es ist möglich, zu sagen: »Wir werden vieles ändern, um das Klima zu schützen – und wenn wir uns daran gewöhnt haben, wird es uns sogar besser gefallen!«