Reibung und Verlust. Sie beide gehen Hand in Hand. Manchen von uns widerfahren sie häufiger, Glücklicheren eher selten. In Mascha Dabićs Debütroman begegnen diese beiden Erscheinungen dem Leser gleich auf zweierlei Ebenen. Hier wird nicht nur der nervenaufreibende Zustand in Flüchtlingsländern und der damit einhergehende Verlust von Familie und/oder Heimat thematisiert, sondern auch die Rolle der Sprache innerhalb dieses Prozesses. Wer an dieser Stelle jedoch mit einer weiteren reißerischen oder ermüdenden Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsdebatte rechnet, der täuscht sich:
von Iris Sirucek
Bei den meisten Psychotherapeuten musste man auf der Hut sein, so viel hatte Nora schon begriffen. Erst seit etwas mehr als einem Jahr war sie mit dieser Berufsgruppe konfrontiert und fühlte sich in der betriebsinternen Kommunikation noch nicht ganz wohl. Die Art, wie die Psychotherapeuten untereinander über die Patienten oder »Klienten« sprachen, gab ihr Rätsel auf. Manchmal klang es wie banaler Tratsch, dann wieder hatte Nora das Gefühl, dass in jedes Wort des Klienten viel zu viel hineininterpretiert wurde, und manchmal wusste sie einfach gar nicht, was sie von dem ganzen Laden halten sollte. Ihr war bewusst, dass da mehr dahinterstecken musste, aber dass sie selbst noch nicht ganz darauf gekommen war, worum es eigentlich ging und welche Begriffe mit welchen Bedeutungen aufgeladen waren. Alles in allem fühlte sich das psychotherapeutische Terrain für Nora wie ein verbales Minenfeld an, auf dem man nicht oft genug den Mund halten konnte. (Reibungsverluste, S. 32)
Der Roman Reibungsverluste nimmt den Leser mit in den Alltag einer Dolmetscherin. Allerdings nicht irgendeiner Dolmetscherin, sondern der jungen, leicht chaotischen Nora, welche seit gut einem Jahr in einer psychotherapeutischen Einrichtung für Flüchtlinge und Asylwerber/Asylwerberinnen aushilft. Angefangen bei ihren morgendlichen Ritualen, den aufwühlenden Übersetzungsarbeiten, bis hin zum abendlichen Heimkehren begleitet der Leser Nora auf Schritt und Tritt. Dabei wird schnell klar, dass der Job einer Dolmetscherin kein leichter ist. Als passive Teilnehmerin an intimen Gesprächen zwischen Patient und Therapeutin vernimmt sie Schicksalsschläge aus erster Hand und hilft diese so reibungslos wie möglich in eine neue Sprache zu übertragen. Diese Arbeit erfordert nicht nur ein starkes Nervenkostüm bezüglich des Inhalts, sondern stellt ebenso in Sachen Wortwahl eine Herausforderung für Nora dar.
Mascha Dabić demonstriert die linguistischen Schwierigkeiten von Übersetzungen und die Unzulänglichkeit von Sprache an sich. Wie ein gewissenhafter Dichter muss die Protagonistin jedes Wort und dessen deutsches Pendant dazu genau abwiegen, um eine gute Balance zwischen Form und Inhalt zu finden. Dabei ist ironischerweise der Erfolg ihrer Arbeit dadurch gekennzeichnet, dass ihre Anwesenheit während der Termine erst gar nicht zur Kenntnis genommen wird. Doch die Traumata der Flüchtlinge beginnen Nora auch außerhalb des Therapieraumes zu verfolgen, sodass die sprachliche Übertragung der Geschichten eine psychische mit sich zieht. Aus diesem Grund ist Reibungsverluste sowohl ein Roman von sprachlicher Finesse als auch psychologischem Tiefgang, welcher auf unterhaltsame Weise zeitgenössische Probleme aus einem neuen Blickwinkel betrachten lässt.
Dabei ist deutlich herauszulesen, dass Mascha Dabićs Werk nicht nur auf gründlicher Recherche basiert, sondern auch persönliche Erfahrungen verarbeitet. Denn die Autorin ist selbst Übersetzerin, Verfasserin journalistischer Beiträge zu Migration und Dolmetscherin im Asyl- und Konferenzbereich. Politik, Sprache und deren Symbiose spielen demnach auch in ihrem Leben eine große Rolle, sie weiß, wovon sie in Reibungsverluste schreibt. Vermutlich ist Dabić der Einblick in Noras Alltag deshalb so gut gelungen.
Iris Sirucek ist Studentin der Deutschen Philologie und Vergleichenden Literaturwissenschaft und lebt in Wien.
Mascha Dabić: Reibungsverluste (Roman)
152 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen
18 Euro
Auch als E-Book erhältlich