Wenn eine Wissenschaftsjournalistin und Schriftstellerin in ihrem vierten Roman die Geschichte ihrer Familie erzählt, darf man gespannt sein: In »Die gestohlene Erinnerung« folgt Ulrike Schmitzer den Spuren der Vertreibung aus Serbien während des Zweiten Weltkriegs und danach. Ein fesselnder Roman über eine Reise zu den ehemaligen Donauschwaben und zu den Wurzeln einer Familie.
Dieses Buch ist bislang dein persönlichstes, es erzählt wichtige Ereignisse deiner Familiengeschichte, eigentlich der letzten drei Generationen – wie lange hat es gedauert, bis du all die Hintergründe, Fakten und Geschichten recherchiert hast?
Ich habe schon vor rund zehn Jahren mit der Recherche begonnen. Damals lebte meine Großmutter noch und ich habe drei Interviews mit ihr gemacht. Ich habe sie über ihr Leben als Bäuerin im jetzigen Serbien, über ihre Enteignung und Verschleppung nach Russland befragt. Ich habe recherchiert, wie die Donauschwaben in den Nationalsozialismus verstrickt waren und ich wollte von ihr genau wissen: war mein Opa auch bei der Waffen-SS? Ich bin mit meiner Mutter nach Nordserbien gefahren und wir haben dort ihr Elternhaus gesucht. Dann ist das Projekt gelegen. Nach dem Tod meiner Großmutter kam das Thema wieder hoch und dann begann der Faktencheck: Kann das Datum stimmen? Wie heißen die Orte heute? Welche Wörter verstehen die Leser und welche kenne nur ich? Meine Großmutter sprach donauschwäbisch. Deshalb musste ich mich entscheiden: Soll ich ihre Sprache mit dem völlig anderen Satzbau übernehmen oder leichter lesbar machen? Ich habe mich für die zweite Version entschieden, aber bestimmte Ausdrücke übernommen, um ein bisschen sprachliches »Flair« zu vermitteln. Mein Opa war übrigens kein SSler und auch kein Nazi.
Fühlst du dich selbst als Donauschwäbin? Stehst du in Kontakt mit anderen »Kindern von Donauschwaben«?
Ich fühle mich als Salzburgerin. Und ich fühle mich als Teil einer untergegangenen Kultur. Meine Vorfahren haben 300 Jahre in einem anderen Land gelebt, eine eigene Sprache gesprochen und eigene Bräuche gehabt, natürlich auch eine eigene Küche gehabt. Das ist auch Teil meiner Geschichte. Interessanterweise bin ich immer wieder Menschen mit einer ähnlichen Familiengeschichte begegnet. Zufällig. Es ist ja nicht so, dass man das jedem gleich erzählt. Aber irgendwie kommt man dann doch nach längerer Freundschaft drauf. Da tastet man sich dann vor und fragt: »Woher genau kommen Deine Eltern, Deine Großeltern«? »Kennst Du sicher nicht!«, heißt es dann. Manchmal kennt man den Ort aber doch: Ich bin sogar mit jemandem befreundet, der aus demselben Ort in Serbien wie mein Vater stammt!
Wie sieht die heutige dritte Generation die Thematik ihrer Herkunft – setzt sie sich damit auseinander oder eher nicht?
Bis ich 30 Jahre alt war, habe ich niemandem davon erzählt. Ich wollte einfach so sein wie alle anderen Salzburger. Ich habe für meine Auseinandersetzung erst die richtige Form finden müssen. Mein Glück war, dass meine Großmutter toll erzählt hat und eine spannende Vorlage geliefert hat. Dazu kam noch: das Dorf, aus dem sie stammt, ist eines der am besten dokumentierten Dörfer der Donauschwaben überhaupt, ein Pfarrer und ein Hobbyhistoriker haben eine mehrbändige Dorfchronik herausgebracht und das war sehr hilfreich. Ich denke jetzt – in der dritten Generation – ist die Zeit reif, das Schicksal der Donauschwaben zu beleuchten. Damit liegt das Buch wohl im Trend. Denn es kommen derzeit gerade sehr viele Bücher über Kriegsenkel oder auch über die Vertreibung der deutschsprachigen Minderheiten zB aus Rumänien oder Polen auf den Markt – wobei das viel größere Gruppen waren, viel mehr Betroffene.
Das Flüchtlingsthema ist auch heute wieder bzw. immer noch sehr aktuell – für uns MitteleuropäerInnen aber oft nicht gegenwärtig, weil wir es aus unserem Alltag verdrängen. Schärft die eigene Familiengeschichte den Blick für das, was falsch läuft?
Unsere Familiengeschichte zeigt: Jeder kann in einem Lager landen. Jeder kann alles verlieren. Jeder kann Flüchtling sein. Das ist für meine Familie keine abstrakte Thematik, sondern eigene Erfahrung. Und ich kann mich sehr gut an Geschichten meiner Großmutter erinnern, wo sie erzählte, wie wichtig ein freundliches Wort war oder ein Bissen Brot.
»Die gestohlene Erinnerung« ist dein viertes belletristisches Buch. Du wählst für deine literarischen Texte immer sehr verschiedene Themen – von einer Naturkatastrophe in »Die Flut« über die Marsbesiedelung im letzten Roman »Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt« bis hin zu geschichtlichen Aufarbeitungen wie auch in deinem ersten Roman »Die falsche Witwe«. Wie kommt’s dazu und hast du schon Ideen für ein neues Romanprojekt?
Manchen Themen komm ich einfach nicht aus, die verfolgen und beschäftigen mich. Oft ist es auch die Form, die mich interessiert. Bei »Die Flut« habe ich zum Beispiel aus der Perspektive einer Schulterkamera berichtet, ohne jegliches Innenleben. Was als nächstes kommt? Jetzt lese ich mal die Science Fiction Klassiker und staune. Die Raumfahrt fasziniert mich schon lange, vielleicht wird es wieder eine Geschichte aus der nahen Zukunft. Die Gegenwart finde ich derzeit recht unberechenbar. Da muss man schon einen Sprung in die Zukunft wagen, um nicht den Ereignissen hinterherzuhinken.
Ulrike Schmitzer
Die gestohlene Erinnerung
Roman
192 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag
und Lesebändchen
19,95 Euro
ISBN 978-3-903005-03-7
E-Book: 12,99 Euro
ISBN 978-3-903005-67-9