Über Das Buch ohne Titel von Lina Loos
Die Biografie der Schauspielerin, Kabarettistin und Autorin Lina Loos liest sich zunächst wie ein beeindruckend vollständiger Zusammenschnitt dessen, was man mit dem Wien der Jahrhundertwende bis zu den 1920er-Jahren, den berüchtigten »roaring twenties«, verbindet. Die Mutter Kaffeesiederin, die Geschwister kunstschaffend wie sie selbst; sie unternimmt Reisen nach Berlin und New York, lebt am und fürs Theater, wird die Ehefrau von Adolf Loos und enge Vertraute von Egon Friedell und Franz Theodor Czokor und findet schließlich in einem Wiener Heurigen-Vorort eine Heimat. Lina Loos ist heute auch für ihr politisches Engagement als Pazifistin und Frauenrechtlerin bekannt. Das Buch ohne Titel ist eine reiche Sammlung autobiografischer Erzählungen.
Als eine Theaterkritik von Egon Friedell erscheint, macht ein Druckfehler aus dem großen norwegischen Schriftsteller Knut Hamsun einen gewissen Haresu. Ein Fantasiename, der dermaßen ausgedacht klingt, dass er es unmöglich sein kann. Die Gelegenheit ist einfach zu günstig. Friedell spinnt sogleich die ganze Künstlerbiografie zusammen: Haresu, japanischer Dichter, Autor der Lasterhaften Kirschblüte und Philosoph, von Oscar Wilde verehrt, in Westeuropa verkannt. Es dauert, ehe herauskommt, dass es diesen Haresu nicht gibt. Man kann sich Lina Loos’ kindliche Freude über solches Seemannsgarn und die Leichtgläubigkeit der feuilletonistisch gebildeten Leute gut vorstellen. Im Buch ohne Titel sind diese und andere Erinnerungen versammelt und legen Zeugnis über das Leben einer Frau ab, die wissenden Blicks und mit großer Neugier erzählt.
Ihr Sinn für Humor lässt bisweilen an Dorothy Parker denken. Was sie jedoch von der amerikanischen Autorin unterscheidet: Lina Loos schreibt nie böse über die Menschen, so skurril und irrsinnig deren Handlungen auch sein mögen. Sie wundert sich, ohne sich je über die kleinen Leute zu erheben – und wundert sich nicht zuletzt über sich selbst. Die Frau, die lange als die schönste in Wien galt, zeigt sich hier ganz frei von Eitelkeit. Ein Buch voll geistreicher Beobachtungen, von unprätentiöser Ehrlichkeit und mit leichter Hand verfasst.Lina Loos verliebt sich gleich beim ersten Besuch in ihre künftige Heimat Sievering, am Rande Wiens gelegen. Es ist auch der Gegensatz zwischen dem Glanz der Künstlerin und Kosmopolitin einerseits und andererseits der Freude am Kleinen und Einfachen, die Lina Loos’ mal tagebuchartige, mal erzählerische Ausführungen so interessant machen.
Die vom Herausgeber Adolf Opel verfasste Biografie im Vorwort rückt ab von der koketten Leichtigkeit, die Lina Loos’ Erzählungen ausmacht, und spricht aus, was Loos selbst allenfalls andeutet: die Abgründe dieses an Widersprüchen reichen Lebens, das von zwei Weltkriegen und dem Tod (nicht selten: Freitod) vieler Freunde nicht unberührt bleiben konnte.
Jana Volkmann ist Autorin und Co-Chefredakteurin des Literaturmagazins Buchkultur.
Lina Loos
Das Buch ohne Titel
Erlebte Geschichten
Herausgegeben und mit einem
Vorwort von Adolf Opel
296 Seiten
21,95 Euro | ISBN 978-3-902498-70-0
E-Book: 14,99 Euro | ISBN 978-3-903005-90-7