Wenngleich das Wetter beim Blick nach draußen noch keinen Hinweis darauf gibt – in der Edition Atelier ist das Frühjahr eingebrochen. Und beim ersten Durchblättern der Frühjahrsvorschau steigt die Vorfreude auf wärmere Zeiten kometenhaft. Sechs Bücher, die wie immer unterhalten, aber auch Haltung zeigen und Kritik üben, bilden einen kunterbunten Strauß an Neuerscheinungen.
Bekanntlich ist das Frühjahr eine gute Zeit für das Neue. So haben wir uns, unerschrocken wie wir sind, für eine »Novität« im Programm entschieden. Zum ersten Mal erwartet euch, liebe Leser*innen, neben einer bibliophilen Wiederauflage und der zeitgenössischen Literatur auch ein warmherziges Sommerbuch, das an Tiefgang nicht vermisst.
Mit den nähernden wärmeren Monaten steigt auch die Lust zum Reisen wieder. Ist die Vorstellung, neue Welten zu entdecken, andere Kulturen und Menschen kennenzulernen und sich persönlich weiterzuentwickeln, nicht wunderbar? Und dann ist da noch dieses unvergleichliche Gefühl von Freiheit. Doch kann der bewusst lebende Mensch in einer Zeit von Bewegungen wie »Fridays for Future« noch guten Gewissens um die Welt ziehen?
Ein Leben ohne Reisen kann sich Claudia in Das nächste Mal bleib ich daheim nicht vorstellen, regelmäßig packt sie mit Begeisterung ihren Rucksack. Doch kurz vor dem nächsten Abenteuer kommt keine Vorfreude mehr auf. Sie beginnt, ihre Reiselust zu hinterfragen und über die klimapolitischen Konsequenzen ihres polyglotten Lebens nachzudenken. Direkt, ehrlich und mit einer sympathischen Portion Selbstironie lädt uns Claudia Endrich dazu ein, unsere Lebensweise zu hinterfragen und bewusster zu gestalten.
Neu bei uns im Verlag, aber nicht neu in der Literaturwelt ist Norbert Kröll. Der Sprachkunst-Absolvent dürfte vielen Leser*innen wegen seines Debütromans »Sanfter Asphalt« bereits ein Begriff sein. Auch sein zweiter Roman führt uns nach Wien und in seine Umgebung. Wer wir wären erzählt von den Versäumnissen und Gewissensbissen des Studenten Alberts, der eine tiefe Freundschaft zum etwas verschrobenen Künstler Klaus führt, aber viel zu spät die alarmierenden Symptome der beginnenden Schizophrenie erkennt. Der plagende Gedanke, dass er seinen besten Freund im Stich gelassen hat, lässt sich nicht abschütteln, und Albert erkennt, dass er eine Entscheidung treffen muss. Ein tiefsinniger Roman, der eine poetische Sinnsuche mit Umwegen darstellt.
Längst gehört eine geschlechterinklusive Sprache zum Zeitgeist. Simone Schönett wagt in Das Pi der Piratin noch einen konsequenten Schritt weiter und stellt sich die Frage, ob Frauen in der männlich gefärbten Sprachwelt überhaupt ihre eigene, die weibliche Begierde zum Ausdruck bringen können. In schwungvoller Prosa begibt sich die Ich-Erzählerin auf die Suche nach einer weiblichen Sprache der Lust. Bald erkennt sie, dass es Zeit für eine längst überfällige Revolution der Sprache ist. Denn solange das Wort einer Frau nicht gilt, bleibt die mögliche Eintracht zwischen den Geschlechtern nur Utopie … Als freie Schriftstellerin sowie dank diverser Auszeichnungen und Preise ist Simone Schönett bereits seit vielen Jahren fester Bestandteil des österreichischen Literaturbetriebs. Mit Das Pi der Piratin beweist sie ein besonderes Gespür für ein hochbrisantes Thema unserer Zeit.
Neben zeitgenössischer Belletristik gehören Wiederauflagen von Werken österreichischer Autor*innen zu unserem zweiten Programmschwerpunkt. Wenn uns unsere Herausgeber*innen einen Roman wie Johanna vorschlagen, sind wir erstaunt, warum er Leser*innen schon so lange vorenthalten wurde. Entdecker im Fall der Wiederauflage für das kommende Frühjahr ist Primus-Heinz Kucher, Professor für Neuere Deutsche Literatur. In der Edition Atelier stellte er bereits mit Arthur Rundts Roman Marylin ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl für Wiederauflagen unter Beweis. Schriftsteller Fritz Rosenfeld erzählt in Johanna eindringlich und realitätsnah über die ärmste und schwächste soziale Schicht der Zwanzigerjahre. Die Protagonistin Johanna hat es von Beginn an nicht leicht. Im Laufe ihres Lebens erfährt sie Misshandlungen und Demütigungen von allen Seiten. Die wenigen lichten Momente versucht Johanna auszukosten, mit der Hoffnung, dass ihr Schicksal doch noch eine glückliche Wendung nimmt.
Mit Teresa Kirchengast haben wir in diesem Jahr eine völlige Neuheit im Programm. Schwarze Schafe ist das erste Sommerbuch der Edition Atelier und das Debüt einer jungen Grazerin. Die Autorin erzählt darin von der Journalistin Ella, die mit ihren Schafen Bertha und Suttner zufrieden in einem Wohnwagen hinter dem ehemaligen Haus ihres Vaters lebt. In die trügerische Idylle platzen nach und nach völlige verschiedene Menschen und es entsteht eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft. Während sich alle langsam näherkommen und sich sogar eine Liebesgeschichte entspinnt, droht Ellas Vergangenheit alles zu zerstören … Ein warmherziger und sonnenheller Roman über schwarze Schafe, die trotz diverser Steine im Weg, ihren Platz im Leben suchen und auf beinahe wunderliche Weise zueinander finden.
Seit wir 2017 mit Das letzte Jahr zum ersten Mal einen Roman von Ilse Tielsch wiederaufgelegt haben, sind wir treue Fans der in Wien lebenden Schriftstellerin. Im Jahr darauf starteten wir mit Die Ahnenpyramide eine Trilogie, die von einer böhmischen und mährischen Familiengeschichte erzählt. Der zweite Teil Heimatsuchen folgte im vergangenen Programm. Es ist ein herzensguter Roman über Mitmenschlichkeit im Leben der Vertriebenen und Geflüchteten in der Nachkriegszeit. Nun erscheint mit Die Früchte der Tränen der letzte Teil und Höhepunkt der Trilogie, der vom Wiederaufbau in den 1950er-Jahren erzählt.
Nach vielen Arbeitsstunden, in denen Wort für Wort und Satz für Satz lektoriert wurde, sind wir beim Anblick unserer Frühlingsvorschau nun mehr als zufrieden. Jedes der sechs Bücher bildet ein Stück der Gesellschaft ab, setzt sich kritisch mit Vergangenheit, Zukunft oder Gegenwart auseinander und ist ein Zeugnis dafür, dass Literatur mehr kann als nur unterhalten.
Mehr Infos zu den einzelnen Büchern gibt’s auf der Website und in der Programmvorschau.