Einführung zur Lesung von Ulrike Schmitzer aus dem Roman Die Stille der Gletscher am 31. Oktober 2017 in der Alten Schmiede in Wien.
Wirtschaftsverbrechen, Klimawandel und Gletscherkunde sind die Motive in Ulrike Schmitzers (*1967) Roman Die Stille der Gletscher. Gut recherchiert und fesselnd geschrieben, stellt sie nicht nur eine identitätsprägende Landschaft in das Zentrum ihres Textes, sondern auch deren Inszenierung. Wer macht unser Bild der Alpen? Welche Rolle spielt der Gletschertourismus in einer Welt, die immer heißer wird? Wem gehört unsere Bergwelt?
von Mieze Medusa
Ein Blog mit dem klingenden Namen »buecherwurmloch.at« nennt bei dem Versuch, das Österreichische in der Literatur festzumachen, gleich auf Nummer eins einer 20 Argumente umfassenden Liste: »Es kommen Berge darin vor.« Ich erspare mir die 19 weiteren Punkte, weil ich in Punkt 1 schon widersprechen möchte, ich finde, es kommen erstaunlich selten Berge in der österreichischen Literatur vor.
Umso wärmer möchte ich Ulrike Schmitzers Roman Die Stiller der Gletscher empfehlen. Die Alpen kommen nicht nur vor, sie sind Handlungsort, Handlungsträger und, auf einer symbolischen sowie auf einer realen Ebene, umkämpft. Für die symbolische Ebene ist die Ich-Erzählerin gebucht. Die Fotografin trifft auf einem touristisch rundum erschlossenen Gletscher den Gondelführer Fritz, der ihr stolz die Schneereservoirs zeigt und von den Schneekanonen erzählt und von den Problemen, die das Auftauen des Permafrostbodens so mit sich bringt, und beobachtet ein paar Araber, die zum ersten Mal Schnee sehen.
»[Sie] simulieren eine Schneeballschlacht. Das haben sie wahrscheinlich im Internet gesehen. Sie lachen und wälzen sich im Schnee. Ich kann gar nicht sagen, was daran eigenartig ist. Es sieht irgendwie aus wie Spaß, aber es ist keiner.« (S. 7)
Die Alpen sind im österreichischen Narrativ immer ein Symbol für das Ewige und Beständige. In Die Stille der Gletscher werden sie in ihrer Veränderung und in ihrem Wandel gezeigt. Es gibt den schrulligen Alpinisten, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, Messdaten zu sammeln und mit dem veränderten, neoliberal-geprägten und -finanzierten Wissenschaftsbetrieb nicht mehr zurechtkommt. Es gibt die Ich-Erzählerin, die den Job eines verstorbenen Fotografen übernimmt, um den Rückgang der Gletscher sichtbar zu machen
Dazu Gunther Neumann für die Wiener Zeitung: »Apokalypse-Angst zu schüren hatte Ulrike Schmitzer in ihrem flüssig geschriebenem Band offenkundig nicht im Sinn: ›Die Stille der Gletscher‹ ist ein Umweltkrimi zwischen Österreich und Island, mit dem fundiert recherchierten Hintergrund eines Sachbuches. Dabei kommen sowohl die Wissenschaft – ›schmutziges Geld für saubere Forschung‹ – als auch ›internationale Umwelt-NGOs mit tollem Mediennetzwerk‹ nicht ohne Kritik weg: ›Der Geschäftsführer meint, dass mit Gletscherbildern derzeit mehr Geld zu machen ist als mit aussterbenden Nashörnern.‹«
Apropos neoliberal. Die Ich-Erzählerin ist eine prekär ihr Geld verdienende Fotografin. Es ist natürlich passend, dass gerade sie sich, mit ihren wirklich sehr begrenzt vorhandenen Ressourcen, im Lauf des Buches mit der ganzen Welt anlegen wird.
Um einen weiteren Blog zu zitieren: »[…] weniger als Roman mit Handlung als Roman mit einer Momentaufnahme von der Unverdrossenheit jener, die die Zukunft nicht aufgeben möchten und im Gegensatz dazu jener, die links und rechts vom eigenen Kontostand nichts sehen wollen.«
Mir sei noch erlaubt zu sagen, dass eine Sache, die in Rezensionen gelegentlich kritisiert worden ist, mich besonders am Text bezaubert hat. Ulrike Schmitzer nimmt sich die Zeit, die Gemachtheit, die Inszenierung unseres Bildes der Alpen zu thematisieren. Wer steuert unseren Blick?
Es gibt kurze Kapitel, die sich mit der Geschichte der Gletscherfotografie beschäftigen, es sind auch historische Fotos abgedruckt. Das ist kein Bruch des Erzählens. Die Ich-Erzählerin ist Fotografin, die ihr Handeln und ihren Beruf reflektiert. Wir als Lesende werden dabei klüger.
In diesem Sinne darf ich dich, Ulrike Schmitzer, um deine Lesung bitten.
Mieze Medusa arbeitet im Spannungsfeld von Prosa, Lyrik, Spoken Word & Rap und ist Pionierin der österreichischen Poetry Slam Szene.
Dieser Text wurde für die Veranstaltungsreihe Textvorstellungen verfasst. Motto: Heimat, Dekonstruktion und Gletscherschmelze
PETER CLAR (Danzig – Wien) Lyrik und andere Prosa (Manuskript) • ULRIKE SCHMITZER (Wien) Die Stille der Gletscher. Roman (Edition Atelier) • MARTIN PEICHL (Wien) Was bleibt, ist die Stille im 4/4-Takt. Lyrik und Kurzprosa (Manuskript) • Redaktion und Moderation: MIEZE MEDUSA • Dienstag, 31. Oktober 2017, 19 Uhr • Alte Schmiede, Wien
Ulrike Schmitzer
Die Stille der Gletscher
Roman
Mit einem Nachwort von ZAMG-Direktor Michael Staudinger
144 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen
18 Euro (E-Book: 12,99 Euro)