Autor und Herausgeber Thomas Ballhausen im Gespräch über phantastische Literatur und die Buchreihe »Bibliothek der Nacht«, die phantastische Literatur aus Europa (wieder-)entdeckt.
Textlicht: Was verstehst du unter phantastischer Literatur? Was ist das Besondere daran?
Thomas Ballhausen: Das »Phantastische« ist ein ungenauer Begriff, der eine Vielzahl von Theorien hervorgebracht hat, die eher das Umstreiten des Feldes und die Mannigfaltigkeit der Bezüge darstellen, als eine möglichst widerspruchsfreie Vereinheitlichung zu bilden. Wie auch in anderen heftig umfehdeten Bereichen ist mit der Begrifflichkeit eher ein Disput denn eine einheitliche Definition umrissen. Für eine andauernde, permanent zu führende Diskussion und eine konstruktive Auseinandersetzung scheint mir dies aber sogar von Vorteil zu sein. Mein Verständnis der phantastischen Literatur ist, insbesondere als Leser, bestimmt stark von literaturgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Traditionen und Entwicklungen geprägt. Das sind ja parallele Verläufe der Geschichte der Literatur und der Literaturwissenschaft, die sich immer wieder beeinflusst haben und auch immer noch beeinflussen. Besonders spannend finde ich da zwischenzeitlich prominenter gewordene Ansätze, die das Phantastische als regulären Bestandteil der jeweiligen literarischen Welt bzw. Erzählung ansetzen oder das Einbinden phantastischer Elemente in der Gegenwartsliteratur.
T.: Welche Entwicklungen gibt es in der zeitgenössischen phantastischen Literatur?
T.B.: Neben der Präsenz unterschiedlichster Modelle, was phantastische Literatur ist oder sein kann, sehe ich eine Aufwertung der politischen Dimension ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hier kommen nicht nur Debatten über den reaktionären oder aufklärerischen Gehalt des Phantastischen ins Spiel, sondern auch Neubewertungen von großen, beladenen Begriffen wie Utopie und Dystopie. Wobei letztere rein zahlenmäßig stärker vertreten sind – ein Umstand, der angesichts der Geschichte des 20. Jahrhunderts und der Zumutungen unserer Gegenwart wohl nicht wirklich überraschend ist.
Zumindest zwei Herausforderungen knüpfen sich da direkt für mich daran, wenn wir über zeitgenössische phantastische Literatur reflektieren: Einerseits die Problematik, dass, wie oft in der Beschäftigung mit den Künsten, mehr danach gefragt wird, was phantastische Literatur leisten soll und nicht, was sie leisten kann; andererseits die Schwierigkeit einer Grenzziehung, die nicht beliebig wirkt. Also die Frage, wen wir innerhalb von Zeitgenossenschaft sehen und anerkennen wollen. Eine Neuerung, die sich auch im Phantastischen als gegenwärtige Tendenz nachweisen lässt, ist die Befragung oder auch Auflösung bislang stabiler Genre- bzw. Subgenregrenzen. Hybridisierungen sind in der Literatur, im Film oder auch im Comic keine Seltenheit mehr.
Eine Wegbewegung vom traditionellen, mitunter auch vorurteilsbehafteten Verständnis phantastischer Literatur hat natürlich auch andere Effekte gezeitigt. So hat sich die Demographie deutlich verschoben, mein Eindruck ist, es gibt nicht nur mehr Leserinnen in dem Bereich, sondern eine Verbesserung in der Sichtbarkeit von Autorinnen im breiten Feld der Phantastik. Das ist ein, wie ich finde, sehr erfreulicher und begrüßenswerter Umstand, dem ich perspektivisch als Herausgeber der Buchreihe auch Rechnung tragen möchte. Zumindest eine Kontinuität will ich an dieser Stelle ergänzend auch gerne noch erwähnen: Die Phantastik hat eindeutig das Potential zur produktiven Irritation, zur Befragung gesamtgesellschaftlicher Konventionen und Zusammenhänge. So wurde etwa in der Diskussion um Christan Krachts »Imperium« nicht zuletzt – und auch richtigerweise, wie ich insbesondere mit Blick auf Krachts Gesamtwerk finde – der Moment des Phantastischen in die Debatten eingebracht.
T.: Was ist die »Bibliothek der Nacht« und was kann sie?
T.B.: Die genannten gegenwärtigen Positionierungen und Entwicklungen der phantastischen Literatur bieten da meiner Ansicht nach eine ideale Anknüpfungsmöglichkeit für eine Buchreihe, die es in der Form einfach nicht gibt: In der »Bibliothek der Nacht« liegt der Schwerpunkt auf europäischer phantastischer Literatur ab dem 20. Jahrhundert, die erstmals oder auch erneut einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht wird. Versehen mit Einleitungen bzw. Erläuterungen werden also Prosatexte in guter Ausstattung vorgestellt, die mit meinem breit angesetzten Phantastik-Begriff korrespondieren. Unterstützt von einem Board aus Spezialistinnen und Spezialisten unterschiedlichster Fachbereiche werden hier sehr sorgfältig Titel ausgewählt und zu einem schlüssigen Ganzen zusammengeführt. Qualität geht mir hier eindeutig von Quantität. Schon die ersten beiden Bände beweisen die Richtigkeit dieses Ansatzes für mich sehr schön und zeigen auch die Bandbreite der Texte, die in der »Bibliothek der Nacht« einen Platz finden können. Buchreihen haben sich in der Vermittlung phantastischer Literatur, nicht zuletzt im deutschen Sprachraum, ja sehr bewährt. Das ist ein Prinzip, dem ich, in enger Abstimmung mit dem Verlag und dem beratenden Board, gerne folgen möchte. Es geht mir mit der »Bibliothek der Nacht« um eine bewusste und hoffentlich auch gut reflektierte Vermittlung von dem, was phantastische Literatur, was ja oftmals unterschlagen oder schlicht abgesprochen wird, auch sein kann – nämlich einfach gute Literatur.
In der »Bibliothek der Nacht« sind bisher erschienen:
Band 1: Paul Leppin »Severins Gang in die Finsternis«
Im Prager Nachtleben findet Severin nicht nur einen Ausgleich zu seinem tristen Büroalltag, es laufen ihm dort auch die Mädchen fast scharenweise hinterher. Bei seinen rastlosen Streifzügen beginnt er halbherzige Affären, die er ebenso schnell wieder beendet, bis mit einem Mal die laszive Mylada in sein Leben tritt – Severin verfällt ihr mit Haut und Haar. Getrieben von seinen Leidenschaften zieht ihn die Prager Nacht mit ihren Gespenstern und ihrem düster-fantastischen Flair immer tiefer in den Bann …
Severin stand im Schatten der Häuservorsprünge und dachte darüber nach, warum sein Herz klopfte. Lag es an dieser Stadt mit ihren dunklen Fassaden, ihrem Schweigen über großen Plätzen, ihrer abgestorbenen Leidenschaftlichkeit? Es war ihm immer, als ob ihn unsichtbare Hände streiften.
Paul Leppin | Severins Gang in die Finsternis Roman 128 Seiten | Halbleinen-gebunden mit Lesebändchen 16,95 Euro | ISBN 978-3-903005-13-6 E-Book: 4,99 Euro | ISBN 978-3-903005-72-3
Band 2: Furio Jesi »Die letzte Nacht«
Vor vielen Jahrhunderten beherrschten die Vampire die Welt, nun leben sie im Verborgenen, in geheimen Kammern und unterirdischen Gängen. Bis sie eines Nachts das Zeichen ihres Herrn am Himmel erkennen, ein loderndes Flammenschwert, das ein neues Zeitalter ankündigt. In rasender Geschwindigkeit erobern die Vampire die Erde zurück, die Menschen müssen zusehen, wie ihre Städte verfallen und ihre Errungenschaften zerstört werden. Die Apokalypse steht bevor. Kann sich die Menschheit noch retten?
Seitdem sie in nunmehr weit zurückliegenden Jahrtausenden von den Menschen besiegt und unterworfen worden waren, hatten die Vampire in ihrem leidvollen Exil stets auf diese einsame Burg geschaut, wie auf das unzerstörbare Siegel ihres Herrschaftsvertrags, der sie der Erde verbunden hatte, wie auf das Unterpfand, das selbst ihren blindesten Glauben an Wiederauferstehung nicht sinnlos werden ließ. Stumm wie nächtliche Schatten, blind und taub in ihrem Exil, das sie vom unausgesetzten Wandel der Jahreszeiten fernhielt, hatten sie durch die Jahrhunderte hindurch ihre Gewissheit nicht verloren.
Furio Jesi | Die letzte Nacht Roman Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner 136 Seiten | Halbleinen-gebunden mit Lesebändchen 16,95 Euro | ISBN 978-3-903005-04-4 E-Book: 9,99 Euro | ISBN 978-3-903005-68-6