Die Koffer sind gepackt, ein Auto organisiert, eine Menge Bücher stehen bereit für die Reise nach Leipzig, die Termine für Lesungen sind schon längst vereinbart und reisefiebrig versuchen wir, am letzten Tag in Wien trotzdem ganz normal zu arbeiten. Mit anderen Worten: Es ist Buchmessezeit. Und wir merken wieder einmal, wie wenig wir über die Stadt wissen, in die die Reise geht. Dass Leipzig schön ist, wissen wir von unseren letzten Besuchen. Außerdem haben wir gelernt, dass Leipzig bunt ist und lebendig und dass dort eine Menge los ist, auch, wenn gerade keine Buchmessezeit ist. Ansonsten ist die große Stadt in Sachsen uns ein paar Buchmessen später noch immer ein Rätsel.
Manches gibt es in Leipzig und nirgends sonst. Zum Beispiel Wächterhäuser. Hinter diesem etwas irreführenden Begriff steht eine Idee, wie die Lebendigkeit der Stadt erhalten bleiben kann und wie zugleich dem Verfall der vielen Gründerzeit-Bauten entgegengewirkt wird. Das Konzept ist so simpel, dass es einfach funktionieren muss: KünstlerInnen, erfinderische junge Unternehmen und andere können für wenig Geld leerstehende Räume nutzen. Im Gegenzug sorgen sie dafür, dass das Haus nicht weiter verfällt. Der Eigentümer stellt sicher, dass das Dach dicht ist und die Grundversorgung mit Wasser und Elektrizität funktionieren kann, für vieles sorgen die MieterInnen selbst. Im Winter kann es schon mal kalt werden in den Wächterhäusern, Komfort sieht anders aus. Dafür sind die Mietpreise eher symbolisch. In Zeiten, wo Wohnraum immer teurer wird und Leute mit tollen Ideen, aber wenig Budget sich das Leben in der Großstadt oft nicht leisten können, ist der tatsächliche Wert einer solchen Zwischennutzung nicht messbar – schon gar nicht in Geld. Davon haben schließlich alle Beteiligten etwas, die Eigentümer genau wie die BewohnerInnen. Für die Menschen in der Nachbarschaft ist ein kreativ genutztes Wächterhaus ganz sicher schöner, als einem einst prächtigen Altbau beim Verfallen zuzusehen, und wer außerhalb der Messetage nach Leipzig reist, muss sich in dieser Stadt nicht langweilen.
Wir schauen aus dem Fenster auf den Hof, hier im 9. Wiener Gemeindebezirk. Die Fassade des Nachbarhauses: makellos. Auch in Leipzig sind viele der 12.000 Gründerzeithäuser schon längst saniert und man muss nicht bis nach Berlin fahren, um zu wissen, was »Gentrification« ist – und wem diese Entwicklung zuerst schadet. Dass die Stadt Leipzig mit den Wächterhäusern eine Alternative zu dem irrsinnigen Kontrast aus Leerstand und Wohlstand bietet, haben wir nicht gewusst, ehe wir die Möglichkeit für eine Lesung von unserem Autor Thomas Antonic (»Der Bär im Kaninchenfell«) gemeinsam mit anderen AutorInnen in der Arche Botanica e.V. bekommen haben. Die Arche Botanica liegt im Wächterhaus Georg-Schumann-Straße 93. Die Abwechslung zur trubeligen Messehalle ist vielleicht genau das Richtige. Nun sind wir noch gespannter auf Leipzig und seine vielen Gesichter.