Auszug aus dem Vorwort zur Neuausgabe von »Du silberne Dame Du. Briefe von und an Lina Loos«
Nur durch zwei Bücher – eines davon erst sechzehn Jahre nach ihrem Tode erschienen – ist die Schauspielerin, Diseuse und Feuilletonistin Lina Loos bis heute zu einem festen Begriff im österreichischen Kulturpanorama geworden – wozu auch das ihr von zahlreichen prominenten Bewunderern verliehene Attribut, in jungen Jahren »die schönste Frau von Wien« gewesen zu sein, seinen Teil beigetragen haben mag. Das Buch ohne Titel – ihre einzige Buchveröffentlichung zu Lebzeiten, eine Sammlung von in den Vorkriegsjahren für Tageszeitungen und Zeitschriften geschriebenen Geschichten, Essays und Erinnerungen an ihr nahestehende Persönlichkeiten – ist 1947 erstmals erschienen und hat in den folgenden Dekaden eine Reihe von Neuausgaben erlebt (drei davon jeweils redigiert, erweitert und kommentiert vom Verfasser dieser Zeilen) – zuletzt 2015 in der Edition Atelier.
Ein Band mit ihren Theaterstücken, Gedichten, Aphorismen und Texten aus dem Nachlass ist unter dem Titel Wie man wird, was man ist 1994 veröffentlicht worden.
Von manchen Rezensenten wurde die Autorin geradezu hymnisch gelobt: Lina Loos – »eine Wiener Institution« – ein »weiblicher Altenberg« – eine »Lebensphilosophin« – »Walküre des schöpferischen Geistes« – »Heldenreizerin« – »stadtbekannte Bohémefigur« – »Rahmabschöpferin des Lebens« – »Vielgeliebte« … von anderen (meist weiblichen) eher missgünstig bewertet: Lina Loos – eine »kindweibliche Emanze« – oder immerhin »eine Emanze von Format« – »Freundin bedeutender Männer« – oder, um Objektivität bemüht, »mehr als bloß Muse berühmter Männer« … So ist der Leser gefordert, sich selbst ein Bild zu machen und zu einer Meinung zu kommen, wer Lina Loos tatsächlich gewesen sein könnte.
Das zweite Buch, Du silberne Dame Du. Briefe von und an Lina Loos, herausgegeben von Franz Theodor Csokor – ihrem lebenslangen Freund und Verehrer – und Leopoldine Rüther – der treuen Gefährtin ihrer letzten Jahre, die sie zu ihrer Erbin bestimmt hatte – ist erst posthum 1966 erschienen. Es enthält größtenteils Briefe an Lina Loos, die aus jenem Teil des schriftlichen Nachlasses stammen, den die Wiener Stadt-und Landesbibliothek von der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Erbin 1955 recht billig erworben hatte. Die in dem Buch versammelten Briefschreiber – sie alle bedingungslose Bewunderer von Lina Loos – sind: Adolf Loos, dessen erste Frau sie war; Egon Friedell und Peter Altenberg, Rivalen um ihre Gunst; die Schauspielkollegin Margarete Koeppke; Kerstin Strindberg, die Tochter des großen Dramatikers; und Csokor selber; enthaltene Briefe von Lina Loos sind lediglich die an den befreundeten Regimentsarzt Dr. Gustav Grotte, dem sie während der Dauer des 1. Weltkriegs von den Tagesereignissen daheim an die Front berichtet hatte; einzelne Briefe gibt es auch an Joseph Roth, Franz Lehar und Dr. Rudolf Beer, ihrem Direktor am Deutschen Volkstheater und an der Scala.
Der Titel des Buches – mit dem Lina Loos seitdem oft assoziiert wird – stammt aus einem schwärmerischen Brief, den Peter Altenberg an sie gerichtet hat (der aber in der Auswahl von 1966 gar nicht vorkommt). Es lag nahe, angesichts des positiven Echos, das die Neuausgaben von Das Buch ohne Titel ausgelöst hatten, auch die silberne Dame in neuer Form der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Bisher war das, auch aus urheberrechtlichen Gründen, nicht durchführbar. Dabei hat es sich im Laufe von Recherchen in der Wienbibliothek und in Privatarchiven herausgestellt, dass der Kreis der prominenten, Lina Loos auf die eine oder andere Art verbundenen Briefeschreiber noch viel größer war, als ursprünglich angenommen: Wir finden Briefe von Alfred Polgar, Stefan Großmann, Hans Adler, Selma Hartleben, Else Lasker-Schüler, Rudolf Forster, Oskar Maurus Fontana, Felix Braun, Grete Wiesenthal, Berta Zuckerkandl, Alma Mahler-Werfel (unleserlich …), Karl Kraus (total unleserlich …), Vicki Baum und, aus den Nachkriegsjahren, von Fritz Hochwälder, die in die Briefsammlung von 1966 nicht aufgenommen wurden.
Bei der von Csokor und Rüther getroffenen Briefauswahl begegnen wir einer Lina Loos als kämpferische, kompromisslose und scharf analysierende Frau, die bereits vor Jahrzehnten gültig zu formulieren gewusst hatte, was heutige Frauenbewegungen zu ihrem Programm gemacht haben. Das trifft alles natürlich zu – aber was nicht sichtbar gemacht wurde, ist die Tatsache, dass Lina Loos auch ihre Ecken und Kanten und gelegentlich eine sehr scharfe Zunge hatte, und dass sie auch eine große Liebende war, die bewusst gegen Tabus ihrer Epoche verstoßen und auch eine »Femme fatale« sein konnte. Mit sanften Retuschen hat der in schwärmerischer Bewunderung ihr zugetane Csokor ein Bild von Lina Loos entstehen lassen, wie es seiner Idealvorstellung von ihr entsprach und in dem allzu Persönliches nur verschleiert durchscheinen sollte.
So hat Peter Altenberg in ihr keineswegs nur die silberne Dame gesehen, die lediglich aus aschblonden Haaren und hechtgrauen Augen bestand – sondern hat auch ihre übrigen Vorzüge zu schätzen gewusst: In seinen Briefen lobt er überschwänglich auch ihren »ambrafarbigen Leib« oder ihren »elfenbeinfarbigen Rücken, der in einer edelsten elfenbeinfarbigen Rundung endete oder seine Krönung fand …« Zwei solche Briefpassagen sind in der Auswahl von Csokor und Rüther nicht enthalten.
Die hier vorliegende neue Anthologie mit Briefen an Lina Loos – und auch einigen erhalten gebliebenen von ihr – soll dazu beitragen, das Porträt dieser außerordentlichen Frau zu vervollständigen, einige neue Farbtöne hinzuzufügen und bisher im Verborgenen Gebliebenes ans Licht zu rücken – auch wenn natürlich manches ungesagt bleiben muss, das nicht in die Öffentlichkeit gehört. Wie in einem mit subjektiver Kamera gedrehten Film, bei dem der Betrachter die vor ihm ausgebreiteten dramatischen Verwicklungen selbst zu erleben und daran teilzunehmen scheint, kann sich der Leser dieser an sie gerichteten Briefe in die Person Lina Loos direkt hineinversetzt fühlen und mit ihr auch auf diese Weise ein Stück ihres Lebensweges gehen, der oft recht dramatisch verlaufen ist.
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Adolf Opel lebt als Herausgeber, Autor und Filmemacher in Wien. Für seine Arbeiten hat er zahlreiche Preise erhalten.
Lina Loos
Du silberne Dame Du
Briefe von und an Lina Loos
Hg. von Adolf Opel
288 Seiten
Gebunden mit Halbleineneinband und Lesebändchen
21,40 Euro (D); 22 Euro (A)
ISBN 978-3-903005-17-4