Tiere und Literatur: Das ist seit Anbeginn ein Liebesverhältnis. Martin Thomas Pesl hat Fährten aufgenommen, Spuren verfolgt und festgestellt: Der Einsatz vierbeiniger Freunde, gefiederter Feinde, schwimmender Gefahren und trompetender Hindernisse in literarischen Werken ist vielfältiger, als man denkt.
Vom Affen Rotpeter bei Kafka über die Esel bei Orwell und Cervantes bis zu Murakamis Frosch, von Nabokovs Grauhörnchen über den Fuchs im Kleinen Prinzen bis zu Martin Suters Elefant und Michail Bulgakows Kater – ihnen und noch vielen mehr ist er auf seiner literarischen Spurensuche von der Antike bis zur Gegenwart begegnet. (Martin Thomas Pesl: Das Buch der Tiere. 100 animalische Streifzüge durch die Weltliteratur)
Autor: Franz Kafka
Titel: Ein Bericht für eine Akademie
Originalfassung: 1917
»Ihr Affentum, meine Herren, sofern Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles.«
Bekanntlich hatte es Franz Kafka mit den speziesübergreifenden Verwandlungen: »Als Gregor Samsa eines Morgens …« und so weiter – der Mensch kann nichts dafür und wird doch entmenscht, muss als unförmiges Insekt durch sein eigenes Zimmer kreuchen. Auch in den Erzählungen Der Bau, Kleine Fabel und Forschungen eines Hundes schnüffelt er im Sinne einer evolutionären Rückschau in verkorkste Tierwelten hinein.
Mit der Figur des Rotpeter serviert sich Kafka selbst die Retourkutsche fürs arrogante »Na, ihr kleinen Viecherln?« Vorbild war ein dressierter Schimpanse namens Konsul Peter, dem Kafka in einem Prager Varieté zusah.
Sein fiktiver Affe, der zum »Bericht für eine Akademie« aufgefordert wird, ist durch seinen tierischen Hintergrund dem Menschen voraus. Die Freiheit sei überbewertet, erklärt er den wahrscheinlich ziemlich perplexen Größen der Wissenschaft. Das Erste, was er auf seinem Weg zum Menschsein gelernt habe, sei Spucken gewesen, es folgte das Saufen. Dann erst das Sprechen und die »Durchschnittsbildung eines Europäers«.
Darum werde er keineswegs über sein äffisches Vorleben berichten, wie gewünscht, denn daran könne er sich auch gar nicht erinnern, führt er in gewählten Worten aus. Stattdessen erzählt Rotpeter, wie er nach seiner Gefangenschaft durch die Firma Hagenbeck in einem dreiseitigen Käfig mit Kistenwand nicht nach einem Flucht-, nur nach einem Ausweg verlangt habe.
»Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand – nun, so hörte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, schöner Gedankengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben muss, denn Affen denken mit dem Bauch.«
So kommt Rotpeter ans Varieté und erlangt eine auf der Sensationslust der Menschheit fußende Berühmtheit, die ihm ein unverhohlenes Vergnügen bereitet. Er lässt es sich von einer dressierten Schimpansin besorgen, geht zu Banketten und Gesellschaften und empfängt daheim Besuche – natürlich immer mit der Weinflasche auf dem Tisch. Für die Journalisten, die über ihn schreiben, hat er tierische Schmähvokabeln parat und reagiert auf sie mit Kommentaren in der Patzigkeit eines Donald-Trump-Tweets.
»Im Ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte«, schließt er selbstgefällig seinen Bericht. Das mag zwar Selbstbetrug sein, aber Freiheit ist ja angeblich überbewertet. Und außerdem: Was kann die Natur Perfideres tun, um es dem Menschen heimzuzahlen, als sich seine Wege anzueignen und sie ihm in wilden Pelz gehüllt vorzuhalten?
Gattung: Pan troglodytes
Lebensräume: Goldküste, die Welt
Beruf: Varietékünstler
Menschlichkeitsfaktor: ******
Sozialverhalten: asozial
Schwäche: Exhibitionismus
Denkorgan: Bauch
Besondere Kennzeichen: roter Fleck auf der Wange, beachtliche Spuckweite
Martin Thomas Pesl lebt als Autor, Übersetzer, Sprecher und Lektor in Wien. Er ist freier Theaterkritiker bei der Wiener Stadtzeitung Falter.
Martin Thomas Pesl
Das Buch der Tiere
100 animalische Streifzüge
durch die Weltliteratur.
Illustriert von Kristof Kepler
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