Ljubomir Bratić, Philosoph, Kurator und Sozialarbeiter, über Elena Messners Roman Nebelmaschine
Der Roman von Elena Messner ist die Eule der Minerva, die aus einer mehr als zehnjährigen Distanz die Finanzkrise und auch den danach folgenden Hypo-Bankskandal, vor allem in Kärnten, rationalisiert und in Erinnerung ruft. Diese Erinnerung wird im Buch zu einem Verständnis gepresst, welches das ganze Verbrechen wieder zu unserer Gegenwart werden lässt. Eine beachtliche Leistung, die nur langsam, aber am Ende umso heftiger auf uns einwirkt.
Der Ort des Romans ist Celovec (Klagenfurt), die Protagonist*innen sind diejenigen, die das Universitätskulturzentrum UNIKUM, das Theater Kukukk, das teatr trotamora und den St. Jakober Kulturverein rož, die Regiearbeiten von Alenka Hain, das Literaturhaus und auch das Stadttheater kennen. Irgendwo in der Peripherie der Stadt steht eine Lagerhalle. Sie gehört zu einer Kärntner-slowenischen Familie und einem Bauernhof, dessen kurze Beschreibung im Roman (im positiven Sinne) an die Bilder von Alfons Walde erinnert.
In dieser Halle hat sich eine Theatergruppe das Schwert der Gerechtigkeit umgegürtet – gerade ist sie wieder einmal dabei, die Frage nach der Widerständigkeit der Kunst zu beantworten. Dort versammeln sich Aussteiger*innen, die (noch) keine Opfermentalität entwickelt haben: Ein Regisseur, der in seiner Gemeinde nicht mehr Regie führen darf, eine Regisseurin, die ihr (kleines) Theater nicht mehr leiten kann, eine Theaterautorin, die Wirtschafterin und eine Art Whistleblowerin ist – in dem in den Roman collagierten Theaterstück heißt sie Lina und als Teil der in der Rahmenhandlung auftretenden Theatergruppe Laura –, eine Schauspielerin, die Kindergärtnerin ist, und nicht zuletzt die Ich-Erzählerin, eine Lichttechnikerin, die im Laufe der Geschichte auch zunehmend zur Aussteigerin wird …
Die Welt, die beschrieben wird, ist schon zerfallen, und die Figuren zwingen uns, auf die Scherben zu blicken. Es verbreitet sich eine allgemeine Dunkelheit, und die Frage, ob wir noch Licht finden werden, bleibt bestehen. Vielleicht ist die Eule auch gar keine Eule, sondern nur ein Geier, der dabei ist, die Überreste eines Wirklichkeitskadavers zu sammeln, um sie aufzufressen.
Die Nebelmaschine wird zu einem monströsen Gerät, das mehr und mehr ins Zentrum der Narration gerät. Diese Maschine, die das Theaterstück im Roman verhüllt, ist auch eine, die unsere Gegenwart vernebelt. Dadurch kommt zugleich auch das, was man nicht sieht, oder nicht sehen will, zum Vorschein. Wir leben in keinen schwierigen, sondern in Zeiten, in denen wir gar nichts mehr sehen, weil wir nicht mehr unterscheiden können. Die Apparate, die Verschleierung erzeugen, sind wir selbst. Im Unterschied zur Behauptung der utopischen Romanfiktion, können wir in der Realität nicht darauf vertrauen, dass uns das Recht und die Gerichte zu mehr Klarheit oder gar zur Gerechtigkeit führen werden – trotzdem ist es angenehm zu lesen, dass es diesen Glauben noch gibt.
Oder ist dieses Buch ein Theaterroman? Einer, der uns die Liebe zum Theater wieder beibringt, wie es Hanif Kureishi mit seinem wunderbaren Buch Der Buddha aus der Vorstadt vor etlichen Jahrzehnten schaffte. Ein Buch, das uns für eine kurze Zeit aus der Realität des Fressens und Gefressen-Werdens in diejenige des Darstellens und Dargestellt-Werdens hineinführt?
Und der (vorgeblich) optimistische Schluss des Romans? Der neueste Versuch, die Ernsthaftigkeit des Theaters und dessen Ehre als politische Kunst zu verteidigen, wird derzeit in Österreich von Kärntner Slowen*innen vorangetrieben. Elena Messners Buch Nebelmaschine begreife ich als Teil dieses Vorhabens.
Elena Messner: Nebelmaschine, erschienen 2020 in der Edition Atelier