Mein Hass war ein Käfig, der meine Liebe einsperrte, und ich wusste nicht, ob ich die Kraft haben würde, den Weg in die Freiheit zu finden.
(Norman Mailer)
Gut. Da war dieser Typ … Nein, da war diese Frau. Eine Frau? Ja? Einverstanden? Gut. Die Heldin, eine Frau. Sie ist verheiratet mit einem recht langweiligen, bescheuerten Typen. Welchen Beruf hat die Frau? Sie arbeitet in einer Drogerie. In einer Parfümerie. Sie hasst ihren Job. Sie muss raus aus allem. Aber sie steckt fest. Warum hat sie denn ihren Mann geheiratet? Sie wurde schwanger. Das ist allerdings heutzutage kein Grund mehr, mit jemandem zusammenzubleiben, den man nicht mehr liebt. Damals liebte sie ihn jedenfalls noch. Ihr fehlt einfach die Kraft, ihr Leben zu ändern, die Sache in die Hand zu nehmen. Was soll sie bloß tun? Soll sie ihn umbringen? Früher war der Mann ein charmanter Kerl. Jetzt: null. Was ist passiert? Männer verändern sich im Laufe der Zeit. Sie wähnen sich in einem sicheren Hafen, nachdem sie sich verheiratet haben, und dann bemühen sie sich nicht mehr darum, die Beziehung reizvoll zu gestalten. Sie kommen nicht mehr mit einem Blumenstrauß nach Hause, sie führen die Frau nicht mehr aus, sie sehen lieber fern anstatt ins Kino zu gehen, setzen sich nach zehn Jahren immer noch nicht hin beim Pissen, wischen ihre Urinspritzer nicht von den Fliesen (putzen sowieso niemals das Klo) und klappen nicht einmal die Klobrille wieder herunter, nachdem sie ihr Geschäft verrichteten (oder sie klappen sie erst gar nicht hoch, weshalb dann auch auf der Klobrille Urinspritzer sind), und so weiter.
Also die Situation: komplette Leere, ein hohles Leben, ohne jeglichen Sinn, nichts Aufregendes passiert, überhaupt kein Leben, Langeweile, Dumpfheit, Depression. Eines Tages kommt ein Mann in die Parfümerie, sehr elegant gekleidet, ein gutaussehender Kerl, der auf der Suche nach einem teuren Parfüm für seine Frau ist. Unsere Heldin fühlt sich sofort von ihm angezogen und spürt, dass auch er in Wahrheit unglücklich mit seiner Beziehung ist. Sie zeigt ihm ein paar Parfüms, sie führen Smalltalk, und weil er sich ungeschickt anstellt, lässt er eine Parfümflasche fallen. Der Flakon zerspringt am Marmorboden in tausend Stücke. Dieser zerbrochene Flakon ist natürlich die perfekte Metapher für ihre kaputten Ehen. Ich kann diese Szene bereits als Roman-Verfilmung sehen. Vielleicht mit Kate Winslet und Tom Cruise. Aber zurück zum Plot:
Ihm ist diese ganze Angelegenheit äußerst peinlich, er entschuldigt sich tausend Mal und überredet sie schließlich, sie als Wiedergutmachung nach Feierabend auf einen Drink einladen zu dürfen. Sie gehen in eine Bar. Sie plaudern über nette, aber belanglose Dinge, versuchen zu vermeiden, über ihre Beziehungen zu sprechen. Die Frau hat ein schlechtes Gewissen, weil sie weiß, dass sie eigentlich gleich nach der Arbeit nach Hause fahren sollte, anstatt mit einem Fremden in einer Bar etwas zu trinken. Die Situation ist etwas unangenehm für sie, aber auch aufregend. Der Mann fühlt sich gleich. Er erzählt einen schlechten Witz nach dem anderen, aber plötzlich, während er noch über eine schlechte Pointe lacht, fällt die ganze Maske, und er beginnt hemmungslos zu weinen, weil er so unglücklich mit seinem Leben ist. Er erzählt von seiner Ehe, dass er seine Frau nicht mehr liebt. Aber er kann sie nicht verlassen, weil sie reich ist, und er ist nichts. Er lernte sie kennen, als er noch sehr jung war, wollte studieren, ein Anwalt oder so was werden. Und sie redete ihm ein, dass er nichts dergleichen tun müsse, da sie so reich sei, dass sie bloß von einem Tag in den anderen leben würden. Wie in einem Märchen. Kein Grund, sich mit einem Studium oder sonst irgendeiner Ausbildung abzuquälen. Und jetzt liebt er sie nicht mehr und weiß nicht, was er tun soll. Dann beginnt er wieder zu heulen. Sie versteht natürlich nur zu gut, wovon er spricht. Sie rückt ihm näher, versucht ihn zu beruhigen, legt ihren Arm um ihn, und dann küssen sie sich. Und auf den ersten Kuss folgen viele weitere. Sehr romantisch ist das alles. Ja, ja, ja. Und das muss sich natürlich sehr langsam aufbauen, bis es zu dieser leidenschaftlichen Szene kommt.
Sie sind dann schon etwas angeheitert und überlegen, sich ein Hotelzimmer zu nehmen. Aber im letzten Moment macht die Frau einen Rückzieher und fährt nach Hause. Sie tauschen nicht einmal Telefonnummern aus. Zu Hause hat sie gleich einen furchtbaren Streit mit ihrem Mann. »Wo zum Teufel steckst du? Wo warst du? Das Kind braucht seine Mutter bla bla bla …« Sie geht zu Bett und weint in ihr Kissen.
Am nächsten Tag steht sie wieder in der Parfümerie. In ihrem Kopf ist sie allerdings ganz woanders. Sie denkt an den attraktiven Mann. Sie ärgert sich, dass sie ihm nicht ihre Telefonnummer gegeben hat. Sie hasst ihr Leben. Sie weiß nicht, wie das weitergehen soll. Sie weiß nur, dass sie diesen Mann vermutlich niemals wiedersehen wird. Was für eine Scheiße. Jeden Tag steht sie im Geschäft und hofft, dass er plötzlich zur Tür hereinkommt. Aber er kommt nicht. Wir lesen, wie sie ihre öde Arbeit verrichtet, wie sie lustlos mit ihrem Kind spielt, wie sie mit dem Kind und dem Ehemann zu Abend isst, und niemand sagt ein Wort.
Dann, nach einer Woche, oder vielleicht dauert es noch länger, endlich, kurz vor Feierabend, betritt er die Parfümerie. Ihr Herz macht einen Sprung. Er sagt, dass er unaufhörlich an sie denken musste, aber er konnte nicht den Mut aufbringen, in die Parfümerie zu kommen. Der Laden schließt und sie gehen wieder in die Bar, sie trinken, und sie küssen sich. Und dann hecken sie einen Plan aus: Sie würde in seinem Haus auftauchen und seine Frau umbringen. Er würde das ganze Geld und das Haus erben, und sie könnten glücklich bis an ihr Lebensende sein.
Sie kommt zu ihm nach Hause und bringt seine Frau um? Genau. Aber der Plan ist noch teuflischer: Sie lassen es so aussehen, als ob ihr Ehemann die Frau des Geliebten umgebracht hätte. Ihr Mann ist ein Handwerker. Ein Installateur, oder so was. Und der Geliebte ruft ihn an und bittet ihn, zu kommen, da irgendwas bei ihm nicht dicht sei. Der Installateur kommt, die Frau liegt bereits tot am Boden, und der Geliebte schreit: »Mein Gott, was haben Sie getan!!??«, und ruft die Polizei. Und der Langeweiler wandert in den Knast, wodurch sie auch ihn los sind.
Dann haben wir noch eine Idee hier: Was ist, wenn das ganze Buch damit beginnt, dass die Frau und der Geliebte in sehr hohem Alter im Garten ihrer riesigen Villa sitzen und Händchen halten? Sie erinnern sich, wie sie einander kennenlernten. Dann Rückblende, und die ganze Story wird erzählt. Das ist eine gute Möglichkeit. Ja, okay. Und nach der ganzen Mordsgeschichte sitzen sie wieder in ihrem Garten, beide über 80. Es ist ein fantastischer Sommertag. Und dann stellt sich heraus, dass alles, das sich nach der ersten Begegnung der beiden Hauptfiguren abgespielt hat – das Warten in der Parfümerie Tag für Tag auf seine Rückkehr –, nur in ihrem Kopf passiert ist. Es war ihre Fantasie, mit dieser verpassten Chance bis an ihr Lebensende glücklich zu sein.
In dieser letzten Gartenszene kommen dann nach einer Weile ihre Enkel sie besuchen. Alle sehen gut aus und sind fröhlich. Eine Idylle, viel zu schön um wahr zu sein. Und plötzlich fragt sie eine (unsichtbare) Stimme: »Entschuldigen Sie, wie viel kostet dieses Parfüm?« und holt sie zurück in die Wirklichkeit. Ende. 600 Seiten, Meisterwerk. Bestseller.