Über Lesungen, Events und den Veranstaltungsort
Die folgenden Zeilen sind keine Abhandlung über die Bedeutung von Grafikdesign oder Marktpositionierung im Literaturbetrieb. Es geht vielmehr um die mündliche Präsentation eines literarischen Textes vor Publikum. Lesungen – bei diesem Wort denken wohl nicht Wenige an eintönige Darbietungen, die kein Ende zu nehmen scheinen. Frontalvorträge, denen man eine Chance geben will, die einen aber schon allein wegen der Präsentationsform an die Schulzeit erinnern. Die Anwesenheitspflicht fehlt zwar, doch die Anordnung der beteiligten Personen im Raum bleibt weitgehend gleich. Auch die Sitzgelegenheiten haben sich nur geringfügig verändert. Statt auf Holz hat man nun auf (im besten Fall leicht gepolstertem) Plastik oder Aluminium Platz genommen.
Zu oft passiert es in solchen Situationen, dass die Gedanken abschweifen und man den Text weit hinter sich lässt.
Andere jedoch erinnern sich vielleicht an wunderbare, fesselnde Lesungen, an außergewöhnliche Geschichten, an Sprachrhythmen und -melodien, an Bilder und Filme, die vor dem inneren Auge auftauchen – kurz gesagt – an Ereignisse, die auf unterhaltsame und berührende Weise einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.
So unterschiedlich die Assoziationen auch sein mögen, einer Tatsache sollte man sich bewusst sein: Mit dem »klassischen« Lesungsformat lassen sich schwer neue RezipientInnen erreichen.
Genau bei diesem Problem setzt beispielsweise der Slam bzw. Poetry Slam an. 1986 in Chicago als Gegenbewegung zu den traditionellen Präsentationsformen von Literatur entstanden, ist der Poetry Slam (auch im deutschen Sprachraum) längst zu einem Massenphänomen geworden. Der wichtigste positive Impuls dieser Entwicklung ist eindeutig die zunehmende Attraktivität für ein neues, jüngeres Publikum. An Kritikpunkten mangelt es freilich nicht. Die Konkurrenzsituation mag zur Generierung von Spannung ganz hilfreich sein, in unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaft ist man diesbezüglich jedoch oftmals schon mehr als gesättigt. Der Vergleich mit den omnipräsenten Casting-Formaten drängt sich auf. So haben auch andere Probleme der Poetry Slams ihren Ursprung in dem gewünschten Show-Charakter dieser Veranstaltungen. Versuche in diese Richtung zu arbeiten, können sowohl bei der Moderation als auch bei den Texten selbst schnell nach hinten losgehen. Was dann bei den BesucherInnen eines solchen »Events« ankommt, wirkt oft lediglich bemüht oder lächerlich.
Doch nicht nur der Lesungs- oder Moderationsmodus und die Auswahl der Texte bestimmen den Charakter einer Literaturveranstaltung. Der Ort, wo gelesen und zugehört wird (oder eben nicht), hat darauf einen mindestens ebenso wichtigen Einfluss – nicht zuletzt vor allem durch die jeweilige Zusammensetzung des Publikums. Die Vorstellung, Lesungen an einem eigentlich eher literaturfernen Ort zu veranstalten, erschien der Edition Atelier reizvoll. Im Herbst 2013 wurde aus diesem Grund die Lesereihe »Textlicht. Literaturmontag im fluc« ins Leben gerufen. Mehr als zwei Jahre wird nun schon monatlich Literatur in einem Musik-Club präsentiert. Bei freiem Eintritt erwartet die Besucher ein abwechslungsreicher Abend mit Lesungen, Diskussionen, DJs oder Konzerte – seit diesem Frühjahr immer jeweils zu einem bestimmten Thema.
Das Konzept wurde übrigens auch schon nach Berlin exportiert. Dort findet alle zwei Monate in Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum Berlin und dem Verbrecher Verlag (Berlin) der LiteraturMagnet in der Z-Bar statt.
Sebastian Reiner arbeitet im Verlagswesen und schreibt Lyrik, Prosa und Theatertexte in Standardsprache und Dialekt.