Zigarettenlange Blitzinterviews mit AutorInnen & ÜbersetzerInnen
#4 MARGIT MÖSSMER
1. Welches Buch hast du noch immer nicht gelesen?
» Jetzt sollte ich »Unzählige!« in den Himmel rufen, oder? Die Frage führt doch zu einer Liste, die Liste im Kopf, von der ich dann Titel zitieren müsste. Dabei kann ich gar keine Liste abarbeiten, weil ich eine Wiederholungsbuchleserin bin. Ich bin auch eine Wiederholungsfilmschauerin und eine Wiederholungsliedhörerin. Ich kann also aus mir selbst heraus nicht danach streben mehr Verschiedenes zu lesen.
Zudem breche ich bei Büchern oft ab (was ich bei einem Film nie tun würde). An manchen Tagen folge ich Hans Castorp hechelnd den Zauberberg hinauf, bekomme kaum Luft, vor Aufregung was als nächstes passieren wird oder, weil er bei den Höhenmetern so beschwerlich an der Zigarre nuckelt. Ich sage: Ja Hans, rauchen ist wie ein Tag am Meer, wie recht du hast. Nach 300 frech dünnen Seiten finde ich sein Reden aufgesetzt und ich werfe ihn zu Seite. Ich lege das Buch weg, lasse Staub auf die Sache fallen, lese ein anderes Buch, vielleicht eine Zeitgenossin, die mich ganz glücklich macht, hole dann das Staubbuch wieder zurück und lass das gerade angefangene Buch liegen. Nachts träume ich mir dann die Figur vom einen Liegengelassenen ins davor Liegengelassene hinein: Was da für Schmafu rauskommt! Dann lese ich das eine zu Ende – oder vielleicht war es das andere – und Ha! Dann beginne ich wieder von vorn. Ich werde den Zauberberg beenden.
Also gut, die Liste: Auf meiner Lese-Bucket-List steht aktuell geschrieben: Einmal Hundert Jahre Einsamkeit auf Spanisch durchackern. Vargas Llosas Geschichtenerzähler noch mal lesen. Und dann noch mal. Das große Tierlexikon studieren: Sturmvogel Abb. 1a mit Sturmvogel Abb. 1b vergleichen. Ernst Jüngers Atlantische Fahrt noch mal lesen und dann seine Schreibtipps notieren. Ernstl, ich find das alles auch so wie du sagst, es lebe die Synästhetik!
2. Welches Buch hast du zuletzt verschenkt?
» Tracey Emin, Strangeland.
3. Welcher Song darf auf dem Soundtrack zu deinem aktuellen Buch nicht fehlen?
» Dicen von der Gruppe Los Diablitos. Die »kleinen Teufel« haben mal einen Hit nach dem anderen rausgehauen. Dicen ist musikalisch vielleicht nicht der beste. Bei Minute 2:40 wird der Sound sogar zum Sound einer Weinviertler Kirtagsband – irgendwie horroroso, aber diese Überschneidung hat auch was. Toll ist der Text. Es geht darum, dass ein Typ seiner Ex klarmacht, dass nicht er, sondern sie Schuld an allem ist (nämlich wirklich an allem). Das Unfaire ist, so erklärt er, dass alle Menschen »dicen« also »sagen, behaupten«, dass er der Schuldige ist. Nun hat er eine eigene Stimme und sagt: »La culpa es tuya nada mas«! Alles deine Schuld und Schluss jetzt! Das hat jetzt nichts mit Die Sprachlosigkeit der Fische zu tun, sondern eher mit dem, an dem ich gerade schreibe. In jedem Fall ist es ein zu cuter Macho-Song, der von der Lüge und auch vom Geschichtenerzählen handelt. Denn ob das wahr ist was »alle sagen«, ist doch immer eine interessante Frage. In Ecuador, wo ich dieser Band begegnet bin, gibt es außerdem Landstriche, wo sich solche Geschichten von Dorf zu Dorf verbreiten und auf ihrem Weg in jedem Dorf einen neuen Vibe, eine neue Richtung bekommen. Laut aufdrehen! Hüften tanzen lassen zum Leiden dieses Mannes!
4. Stell’ dir vor, dein Buch wird verfilmt – welche Schauspielerin soll die Hauptrolle übernehmen?
» Wenn Alejandro Jodorowski Regie führt, darf er den Cast selbst mitnehmen. Überhaupt würde ich mich in eine Verfilmung nur ungern einmischen. Wenn das echt jemand machen möchte: Good luck! Nimm den Text, verwurste, dreh und zieh doch an den Buchstaben und Bildern. Mir ganz egal, es gehört dir.
5. Kennt deine Buchhändlerin, dein Buchhändler deinen Vornamen?
» Natürlich nicht. Erstens bin ich nicht so oft dort (ich brauche ja kaum Bücher, siehe oben) und zweitens würde ich nie mit ihr per Du sein wollen – zu großer Respekt.
Aktuelles Buch: »Die Sprachlosigkeit der Fische«